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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 12
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nicht gestört werden (ich wiederhole, man muß sie als
Lebewesen empfinden können, und als solche sehr
vornehmer und sensibler Art) und der Beschauer kann
sich dem Genüsse ungeteilt hingeben.
Denselben Grundsätzen entsprechend, muß dieser
Raum so eingerichtet, gegliedert, entworfen und gebaut
sein, daß die Gemälde, und nur diese, zur größtmöglichen
Wirkung kommen, und daß der Beschauer in der mög
lichst günstigen Lage ist, sie genießen zu können. Es
werden also nicht etwa in einem Riesenraume je hundert
Bilder an einer Wand hängen, .wie im 16. Jahrhundert in
einer holländischen Galerie (heute hängt man kaum zehn
mehr an eine Wand, weder in einer öffentlichen, noch in
einer privaten Galerie, noch in einer Gemäldeausstellung,
selbst nicht im Glaspalast — nicht wahr?), es werden
auch nicht an einer Riesenwand nur vier Bilder hängen,
wie heute in der Reformausstellung der Wiener Sezes
sion, sondern der betreffende Raum wird in einzelne,
kleinere Kojen gegliedert, und an die Wände dieser
Kojen wird nur ein einziges, höchstens zw r ei oder drei
Gemälde gehängt. Und die Wand ist nicht etw r a riesen
haft, auch nicht in der Höhe, so wie in jener Sezessions
stellung, wo die Bilder zwar nicht übereinanderhingen,
sondern nur nebeneinander, wo aber dafür der immense
freie Raum der Wand zwischen Bild und Decke störend
wirkte und das Gemälde selbst, wenn es klein war, sich
auf der großen Wand verlor. Der ganze Raum darf und
soll w r ohl hoch sein — nebenbei bemerkt, die Pavillon
anlage mit Oberlicht ist die beste — aber die Größe
der Wand der einzelnen Koje muß einigermaßen im
Verhältnis zu der Größe des Bildes stehen, und dies
läßt sich dadurch erreichen, daß man Stoffe baldachin
artig vom Oberlichtfenster so Weit, hinunter zur Wand
führt, daß diese die passende Größe erhält. Handelt es
sich um besonders kleine Gemälde, so kann man sie an
einer Zwischenwand, frei in den Raum gestellt, auf
hängen.
Für die Dekoration dieser Kojen und dieses ganzen
Raumes (Galerie, Gemäldesalon, Pinakothek, Haus
galerie, Privatmuseum) gilt der Grundsatz, daß alles,
was den Blick anzieht und von den Gemälden abzieht,
zu vermeiden ist, daß Luxus lediglich mit den Ruhe
sitzen getrieben wird, derart, daß möglichst bequeme
und behagliche Fauteuils, Stühle, Diwans und Liege
kissen aufgestellt werden.
Der zweite Häuptgrundsatz muß der sein, daß alle
lebhaften Farben vermieden werden, die nur geeignet
wären, den Farbeneindruck der Gemälde zu beein
flussen, daß also vielmehr möglichst neutrale Farben ge
wählt werden.
Und nun komme ich noch einmal auf die Frage zu
rück, wie man dem abhelfen könne, daß ein Gemälde,
also in gewisser Beziehung ein sakraler Gegenstand, dem
profanen Auge zu jeder profanen Gelegenheit bloßge
stellt wird, also zum Beispiel auf der Staffelei im Salon,
obwohl er hier schon bis zu einem gewissen Grade der
profanen Umgebung entzogen ist. Vermeiden läßt sich
dies in sehr einfacher Weise dadurch, daß das Gemälde
mit einem dunklen Vorhang versehen wird, wie man es
an Altarbildern hie und da sieht, und daß der Vorhang
eben nur dann zurückgezogen wird, w r enn man das Bild
sehen will. Sehen heißt dann nicht nur so viel, wie
wahrnehmen, bemerken, sondern so viel wie anblicken,
betrachten, sich versenken und sich vergessen. Dann
erwacht das Bild gewissermaßen zum Leben, es tritt
lebend vor uns hin und läßt sich seine Reverenz machen,
wie eine Fürstin oder eine Heilige: Wie bist du meine
Königin . . . Dann erst bringen wir es zu Kunstgenuß,
Kunstpflege, Kunstkultus, und dann erst haben wir
Freude am Genuß. Und wie geweiht und zugleich er
hoben und beseligt treten wir aus dem Kunsttempel oder
zurück von der Staffelei, wenn der Vorhang sich wieder
schließt.
Der Vorhang kann dabei sehr wohl aus kostbarstem
Stoff, schwerem Samt, Atlas oder Brokat bestehen,
denn er verhüllt das Allerheilige, und zugleich wird er
alsdann eine willkommene Dekoration für die Zeit, wenn
er das Bild abschließt, bilden.
Diese Einrichtung empfiehlt sich auch für Museen
und auch noch aus einem anderen Grunde. Es wird
heute viel über echte und unechte Farben geschrieben
und gesprochen. Das Nachdunkeln der Gemälde ist eine
seit langen Zeiten bekannte Tatsache. Daß Farben, auch
abgesehen vom Nachdunkeln, sich im Lichte verändern,
ist eine neuerliche Beobachtung. Aus allen diesen
Gründen ist es eine fast selbstverständliche Forderung,
daß ein Farbenbild vor dem Lichte, als seinem gefähr
lichsten Feind, dem Mörder seines Lebens, w r enn man so
sagen darf, und wenn es auch dem Lichte sein Leben
erst verdankt, geschützt wird, daß der Zutritt des
»farbenmordenden« Lichtes nur dann gestattet wird,
wenn das Bild wirklich genossen wird. Und ist es nicht
eine ganz unverantwortliche Nachlässigkeit, um nicht zu
sagen, Gewissenlosigkeit, daß man einen jungen oder
schon alten Gemäldeschatz dem Genüsse der Nachwelt
dadurch entzieht, daß man das Bild von früh bis abends
dem Lichte aussetzt, gleichgiltig, ob jemand da ist, der
das Bild eines Blickes würdigt? Mir kommt, es immer
so vor, als wüßten es die Gemälde, die da von den
Wänden herabschauen, und als litten sie darunter, als
zehre das Licht an ihnen und sauge ihnen ihr Blut aus.
Denn so und nicht anders verhält es sich in der Tat, wie
jeder Chemiker heute zugeben muß. Wir müssen also
ganz formell die unabweisbare Forderung stellen, daß
künftig jede Galerie ihre Bilder mit dunklen Vor
hängen versehe, die nur während der Besuchsstunden
zurückgezogen werden. Und jeder Privatbesitzer, dem
seine Gemälde lieb sind, und der nicht maßlose Ver
schwendung mit seinen Gemäldeschätzen treiben will,
wird gerne und freiwillig dasselbe tun. Heute kann mau
beobachten, daß hie und da sogar dem Sonnenstrahl der
Zutritt zu einem neuen oder alten Gemälde nicht ver
wehrt wird, gleich als ob man einem Menschen das
Messer in die Brust stoßen wolle. Früher hat man ja
freilich diese gefährlichen Eigenschaften des Lichtes nicht
gekannt oder nicht beachtet. Heute aber kennen wir sie
Heute haben wir auch schon schmerzliche Erfahrungen
gemacht, heute ist es Pflicht, die Gemälde vor dem
direkten und indirekten Sonnenlicht zu schützen — der
Dienst, den wir der Kunst zu leisten haben, wird dadurch
nur gewinnen, wir werden die Kunst mehr achten und
zugleich mehr genießen.