wie üblich, in arebitektonifebe, voneinander unabhängige Felder
geteilt, im Gegenteil, die Linien, Strahlen und Zweige reichen
längs der ganzen Glasmalerei von unten nach oben und von
oben nach unten, wie eine Mufikgama, wie bewegliche Fluten,
umftrablt vom Mondeslicbt. Grün, gelblicb-wiolett und blutrot
berrfebt vor. D
Huf der gegenüberliegenden Seite des Presbyteriums, ober*
halb des Chors, befindet fich Wyspianskis letzte rieüge Glas
malerei: »Gott - Vater«, der das Weltall aus dem Chaos heraus*
bringt - eine mächtige Kompofition, die über die ganze Kirche
berrfebt. Wenn aus den Glasfenftern im Presbyterium uns das
Heimifche, Rnmutige und die ftille Ekftafe der Geftalten entgegen*
webt, fo haben wir hier vor allem eine geniale Darftellung von
Macht und Grauen. Von den ausgefübrten Glasmalereien
Wyspianskis haben wir noch eins im ärztlichen Vereinsbaufe,
das das Syftem Kopernikus’ darftellt. Rndere, wie die Glas
malereien für die Kathedrale in Lemberg (Gelöbniffe Johann
Kafimirs und Polonia) und für die Kathedrale am Wawel (Kafimir
der Große, St. Stanislaus und Heinrich der Hndäcbtige) wurden
nicht ausgefübrt. Hlle find originell gedacht, befonders die mit
der Beftimmung für Wawel. Es find dies königliche Vnionen,
Erinnerungen, Totengerippe, umhüllt in königliche Mäntel. Eine
folcbe ift z. B. Kafimir der Große, komponiert auf Grund einer
Zeichnung Matejkos: das Totengerippe des Königs in dem Zu-
ftande, wie er im Grabe gefunden wurde. Der Gedanke, die
Kathedrale mit folcben Glasmalereien zu umgeben, gehört
wahrlich zu den ungewöhnlichen, aber doch fo verftändlichen,
mit Rückficht auf die Gefchichte Polens. Es wäre dies ein ewiges
MEMENTO und gleichzeitig ein ewiges SURSUM CORDH für
die Nation. D
Eine fpezielle Vorliebe für erhabene Themen und eine be*
fondere Zuneigung für die Linie, als Mittel zur Kompofition,
brachte mit fich, daß Wyspianski mit einer ungewöhnlichen
Predilektion dem Komponieren von Glasmalereien fich widmete.
Daher ftudierte er genau die Glasmalereien aus früheren Zeit
altern (fo z. B. zeichnete er in natürlicher Größe mehrere Glas
malereien in dem Dominikanerklofter in Krakau aus dem XIV. bis
XVI. Jahrhundert ab). In feinem Studium über diefe fpracb er
den richtigen Sa^ aus, welcher beweift, wie genau er die Technik,
den Geift und zugleich die Schwierigkeiten einer Kompofition
der Glasmalereibilder kannte, welche, wie er febrieb, »aus dem
Grunde erfchwert ift, weil das Glas mit dem Blei nur in der
Richtung der Grundlinien gefaßt werden kann, daß das Blei
die Geftalt und die Form, die Bewegung und den Lauf der
Falten, Draperien, die Silvette und die Grenze des in der Kom
pofition dargeftellten Gegenftandes zum Husdrudc bringen foll,
daß es abfolut unmöglich ift, fich diefem Zwange zu entziehen,
weil der Sinn der Linie in einem Hugenblicke fich verändert
und daß man ftatt einer Kompofition bei willkürlicher Ein
teilung der Glasfcbeibe mit dem Blei, ohne Rückfiditnahme auf
die Form und die Geftalt den Eindruck erhält, als ob das Glas
zerbrochen und nur mit großer Mühe zufammengefügt und
nicht frifcb komponiert wäre«.
Wyspianski bat viel ftudiert und gefeben. Er ftand unter
dem Banne der bellenifcben Welt und mittelalterlicher Schöp
fungen. Trotjdem erhielt er fein eigenes Ich und war durch
und durch ein moderner Individualift. Vor allem war er ftilvoll;
ein jedes Thema, ob ein fremdes oder aus der Gefchichte ge
griffen, durchdachte er nach feiner eigenen Art und fchuf es
von neuem. Das Handwerk achtete er hoch, fcbätjte die Rrbeit
ganzer Generationen, der Generationen einer guten, gediegenen,
durch die Tradition und den berrfebenden Stil diktierten Hrbeit,
aber et unterfchied fie von der wahren Schöpfung, von den
Werken perfönlicbet Begeifterung. Es wird von Wert fein,
einen charakteriftifcben flbfat) aus feiner Hbbandlung über alte
Glasmalereien anzufübten*: »Sie find edel und mufterbaft, jene
Kompofitionen, von wundervollem Stil, aber alle nach einer
Schablone.« Da z. B., wenn es fich darum bandelte, die bimm-
lifcbe Feier einer Krönung der heiligen Mutter darzuftellen, fo
wußte der damalige Maler bereits im vorhinein, wie es verteilt
fein würde. D
Natürlich muß es da vor allem einen großen Doppeltbron
geben; felbftverftändlicb muß derfelbe auf Wolken ruhen und
hinter ihm ein Vorhang ausgebreitet fein, und erft auf diefem
Vorhang als Hintergrund präfentieren fich zwei Geftalten, die
des Erlöfers und der heiligen Maria, leicht zueinander gebeugt;
auf beiden Seiten werden fich zwei Engel befinden, die, nachdem
fie fich freuen, ficher auf Inftrumenten fpielen; das übrige bildet
den Hintergrund, zu deffen Husfüllung irgendein modernes Mufter
verwendet wird. D
Hier hörte des Künftlers Denken auf und er fing an, fein
Bild auszufübren; esmüffen alfo zwei Heiligenfeheine fymmetrifcb
angebracht fein, in ihnen zwei Kronen fymmetrifcb zueinander
gebeugt, erft dann zwei Köpfe, ebenfalls fymmetrifcb, die Grup
pierung der Körper und der Füße (von den Knien bängt eine
ganz gleiche Draperie herab) unwiderruflich diefelbe; kaum daß
nur eine Bewegung über den allgemeinen Rhythmus binaustreten
muß, die Bewegung Cbrifti, mit welchem er die heilige Maria fegnet.
Ein geübter Zeichner, der gewöhnt war eine Kompofition
zu organifieren, batte in kurzer Zeit die allgemeinen Grundriffe
des Bildes feftgeftellt, und nach der von altersber hergebrachten
Schablone gebend, batte er alle Linien, eine altertümliche und
einfache Pracht faft vorgefebrieben, und fo war für ihn der
Weg offen, ein Kunftwerk zu febaffen. Aber er fchuf es doch
nicht, weil mit dem Momente, wo er die allgemeinen Umriffe
des Bildes feftgeftellt hatte, er wieder aufbörte zu denken
und fich zu kümmern, da er ja febon im vorhinein wußte, was
weiter gefcheben würde.
Studien zu machen, bat er fich bereits febon lange aus dem
Kopfe gefcblagen, oder er wußte von ihnen überhaupt nichts,
jetjt, wo er die allgemeinen Umriffe febon feftgeftellt batte, fing
er zu zeichnen an: der Kopf und die Hugen werden alfo fo ge
zeichnet, der Mund fo und fo, ausdrucksvoll und klar; und er
wiederholte zum bundertften Male diefen einmal erlernten Kopf,
indem er febr genau beachtete, wie der Mund zugefchnitten
werden muß, um den Husdruck der Lieblichkeit und der unge
trübten Seligkeit berauszubekommen. n
Nach der erlernten feftgeftellten Regel zeichnete er die Finger,
indem er die Knöchel in den Biegungen voll zum Vorfchein
brachte fowie auch die Hautfalten auf den Handflächen; immer
auf ein’ und diefelbe Hrt zeichnete er die Fingernägel aus dem
Gedäcbtniffe - alles aus dem Gedächtniffe -, die Haarflechten
nach althergebrachtem Schema in Windungen und Löckchen, die
Draperien mit backenartig zugefchnittenen Falten, und zwar
zeichnete er diefes leicht und geübt, dachte dabei am wenigften
nach und war überzeugt, daß daraus etwas Schönes entftebe,
wenn noch dazu ein reiches Ornament zugegeben und wenn
der Hintergrund bis an die Ränder mit einem Mufter von auf-
gerollten Blättern willkürlich, daher mit Pbantafie, einmal nach
rechts und einmal nach links ausgefüllt würde, da er ja wußte,
daß die Wolken wieder mit einer wellenförmigen, gebogenen, an
die Umriffe eines Kleeblattes erinnernden Linie gezeichnet werden.
Und das Gefamtbild fiel auch bübfcb aus. □
* Rocznik krakowski (Krakauer Jahrbuch) 1899, Glasmalereien in
dem Dominikanerklofter.
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