MAK
Nr. 17 
Internationale Sammler-Zeitung. 
Seite 259 
Aber genug davon. Chippendale ging in seiner be 
rechnenden Schlauheit so weit, daß er zu Anfang des 
Buches, das im Grunde nichts als ein Musterkatalog der 
Firma Chippendale war, sich auf den akademischen 
Kothurn stellt und die klassischen Säulenordnungen be 
schreibt und erklärt. Damit man es nur wisse, Chippen 
dale war nicht nur ein Tischler, sondern Architekt, oder 
war als Tischler so groß, weil er die Architektur ver 
stand. Aber wahrhaftig, in seiner ganzen Möbelsamm 
lung findet man von der hohen Architektur nichts, nichts, 
nichts. Und von Tafel IX seines Werkes an hat er für 
immer und ewig die Architektur verlassen, und nirgends 
spürt man einen hiauch davon. Mundus vult decipi. So 
dachte ein großer Tischler damals. Und er »fing« damit 
jene vornehmen Leute, welche dem Klassizismus an 
hingen und deren künstlerisches Glaubensbekenntnis mit 
der Säulenordnung anfing und endigte. 
Doch wir wollen nunmehr auf die Art, wie Chippen 
dale den chinesischen, gotischen und Rokokostil in sich 
aufnahm, eingehen. Gemeinsam ist allen diesen drei 
Stilen die Vorliebe für durchbrochene Arbeit, die Auf 
lösung der plastischen Massen in dekorative Linien. Sie 
alle drei lösen die Fläche auf und sie lösen die Masse auf. 
An die Stelle tritt die dekorative Linie, das Stabwerk 
und Rahmenwerk! Dieses allen drei Stilen gemeinsame 
Prinzip entlieh ihnen Chippendale und machte daraus 
einen Stil. 
Auch hiebei zeigte sich seine Klugheit. Mode war 
China, Louis XV. und die Gotik. Mode wurde Chippen 
dale, das heißt, die Mischung der vorgenannten drei Stil 
arten. Englisches spürt man dabei so gut wie nichts. Es 
müßte denn sein, daß das Moment der Verbindung dieser 
drei Stile und das ihnen Gemeinsame etwas spezifisch 
Englisches war, also eine gewisse unsolide Dürftigkeit 
der Form, eine schlecht anstehende, ungraziöse und un- 
französische Eleganz. 
Wenn Chippendale der Gotik die Formen entlieh, 
wandte er sich nicht etwa an die Frühgotik, sondern an 
die Spätgotik. Der Flamboyant- und Fischblasenstil war 
es, der ihm für seine Zwecke nützlich erschien. Wie ge 
sagt, allein der durchbrochenen Arbeit wegen bevorzugte 
er die Gotik. Denn man war der schweren Monumentali 
tät satt und wollte chinesisch-spielendc Leichtigkeit. Und 
dies war es eben auch, was ihn beim chinesischen Stil 
anzog. Man sehe sich nur die chinesischen Möbel in dem 
erwähnten Werke von Sir Chambers an. Man findet da 
vorzugsweise jene iri durchbrochener Arbeit aus Bam 
busrohr gefertigten, wie »Gartenmöbel« uns anmutenden 
Stühle, Tische und Bänke. Und mit ganz geringen Ab 
weichungen findet man dieselben wieder in Chippendales 
Musterkatalog. Er ist sogar ehrlich genug, darunter zu 
setzen: »Chinesischer Stuhl« oder »Chinesischer Tisch«. 
Und nicht immer versteht er die im Material begründete 
Leichtigkeit des chinesischen Möbels recht. Tadellos ent 
worfen ist zwar sein chinesischer Tisch, im Besitz E. H. 
Talbots (siehe Clouston, S. 51), und der bei Clouston, 
S. 49, abgebildete Tisch. Aber oft, namentlich bei den 
Stühlen, ist der Aufbau noch zu kompakt und nicht 
graziös genug. 
Was nahm nun Chippendale vom französischen Ro 
koko? In der Hauptsache das Ornament. Für die gotisch 
chinesischen Formen bedurfte er eines modern-europäi 
schen Ornamentes, das sich für die durchbrochene Arbeit 
eignete, und er fand dieses im C cfT J 7 , ?, und J>~ und 
im Muschel- und Ohrmuschelmotiv des französischen 
Rokoko. Und hier beginnt nun die Mischung. Er baut 
chinesische Stühle in durchbrochener Arbeit und bringt 
an den Ecken Rokaillemotive an. Er scheut sich nicht, 
gotische Spitzbogenformen mit Ohrmuschelformen zu 
vermischen und letztere an erstere anzusetzen. Wahr 
haftig, ein C o m p o s i t e s t i 1 des Möbels, wie es ihn 
in der ganzen Geschichte des Möbels nur einmal gegeben 
hat! Und nur in einem in künstlerischen Dingen oft so 
dilettantisch empfindenden Lande, wie in England, war 
dies möglich. In jedem anderen Lande wäre er ausgelacht 
worden — wobei man allerdings nicht vergessen wolle, 
daß auch wir später sehr viel von Chippendale herüber 
genommen haben, wie ein flüchtiger Blick auf die Salon 
möbel um die Wende des neuen Jahrhunderts lehrt. Und 
wer weiß, was noch kommt! Für ungraziöse Eleganz 
sind stets Parvenüs vorhanden! 
Man hatte Chippendale mit dem englischen Maler 
Reynolds zusammen gestellt. Besser aber paßte er 
zu G a i n s b o r o u gh, dessen Porträts mit der Innen 
einrichtung Chippendales aufs beste harmonierten. Ein 
Bild, wie »Der blaue Knabe« (im Grosvenor House), 
scheint für die Innendekoration ä la Chippendale gemalt 
zu sein. Wie Watteau und Boucher das französische 
Rokoko in der Malerei repräsentieren, so Gainsborough 
das englische. 
Wo war nun das England der Elisabeth-Zeit hin, 
das kaum die Stühle dem Namen nach kannte, das Solidi 
tät, Größe für etwas Selbstverständliches hielt? Welche 
Veränderung mußte in Kultur und Sitte mit diesem Volke 
vor sich gegangen sein, daß es sich jetzt an chinesischen 
Bambusmöbeln begeistern konnte? Die Erklärung gibt 
zum Teil folgendes: Das Elisabeth-Zeitalter war ein 
Zeitalter des Mannes und brachte männliche Kraft zur 
Auslösung. Das Zeitalter Chippendales war weiblich und 
weichlich. Der Chippendalestil ist feminin, aber nicht in 
dem höheren Sinne des französischen Rokoko. Zugleich 
aber ist er ausgesprochen bürgerlich. Darin liegt eine 
wesentliche Ursache für die große Verbreitung, die er 
gefunden hat. Chippendales Zeit war die 
erste bürgerliche Epoche Englands. Sein 
Wirken und Schaffen fiel mitten in dasjenige des kriti 
schen Philosophen H u m e, des moralisierenden Malers 
des bürgerlichen Lebens H o g a r t h, des Herausgebers 
moralisierender Zeitschriften Samuel Johnson, des 
Familienromanschriftstellers Oliver G o 1 d s m i t h, wie 
der bekannten Lady Montagu W o r 11 e y, die lange im 
Orient gelebt hatte und dann in England die bedeutend 
sten Schriftsteller um sich versammelte. Und da Chip 
pendale den französischen Rokokostil seiner besonderen 
Vorliebe würdigte, müssen wir in diesem Zusammen 
hang auch an die engen Beziehungen der englischen und 
französischen Aufklärungsphilosophie erinnern. 
Wir erwähnten schon am Eingang dieses Artikels, 
daß das Chippendalemöbel mit dem Material, aus dem 
es gemacht ist, steht und fällt. Und dies ist vielleicht 
noch die beste Seite dieser Möbel. Sie tun dem Materiale 
keinen Zwang an, ihr Stil scheint dem Materiale in 
härent zu sein. Dieses Materiale ist, wie gesagt, Maha- 
g o n i. Die Geschichte der Einführung dieses Holzes nach 
Europa muß hier kurz berührt werden. In früherer Zeit 
wurde in England ausschließlich Eiche und Nußbaum 
verwandt, Mahagoni wurde allgemein erst angewendet 
seit 1720. Das Verdienst der Entdeckung allein fällt Sir 
Walter Raleigh zu. Ein Kapitän aus Westindien aber 
sandte einige Stücke davon seinem Bruder, einem 
Dr. Gibbon, welcher sie als ein medizinisches 
Substrat für Chinarinde gebrauchte. Da er nun 
einmal mehr hatte, als er brauchte, wollte er 
damit bauen lassen. Die Zimmerleute weigerten 
sich aber und hielten das Holz für ihre Zwecke 
für zu hart. Der Doktor wollte alsdann 'wenigstens eine 
Lichtlade daraus gemacht haben und bestand auch dar 
auf. Als diese fertig war, wurde, sie so angestaunt, daß
	        
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