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Internationale 
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
4. Jahrgang. Wien, 1. Oktober 1912. Nr. 19. 
Heimatsmuseen. 
Von Dr. Heinrich 
Im Jahre 1905 veröffentlichte der Hamburger Licht- 
w a r k in der Zeitschrift »Museumskunde« einen kurzen 
Artikel, »Das Nächstliegende« betitelt, in dem er Klage 
darüber führte, daß in den deutschen Kunststädten keine 
Galerien vorhanden wären, in denen man die Entwicklung 
der Malerei der betreffenden Stadt in den letzten hundert 
Jahren einigermaßen gründlich studieren könne. Und Ver 
fasser ist selbst bereits in der Schrift »Die Kunst im Lichie 
der Kunst« (1892) dafür eingetreten, daß die Museen vor 
allem die heimatliche Kunst sammeln und darstellen 
sollten derart, daß man Dürer in Nürnberg, Botti 
celli in Florenz, Tizian in Venedig, Rembrandt m 
Amsterdam, Turner in London studiert. Der Vorschlag 
wurde damals wenig beachtet. Heute sind wir so weit, 
eben dieses Prinzip als richtig für das gesamte Museums 
wesen anzusehen. Heimatsmuseen! Wir haben sogar 
schon einige Anfänge und Versuche solcher Heimats 
museen aufzuweisen, wie das Märkische Museum in 
Berlin. Ein Berliner Schriftsteller machte kürzlich auf 
die Lücken und auf die Verbesserungsbedürftigkeit dieses 
Museums aufmerksam und wollte zum Zwecke der Mög 
lichkeit eines gründlicheren Studiums der Heimats 
geschichte ciri photographisches Archivmuscum für die 
Kunstgeschichte Berlins gegründet wissen. In ähnlicher 
Richtung liegen die Dorfmuseen, die man hie und da ge 
gründet hat, und für die das Sohnreysche Land eifrig ein- 
getreten ist. 
Im allgemeinen freilich ist uns das Verständnis für 
die organische Auffassung der Kunst und Kultur, für ihre 
Bodenständigkeit und sozusagen Wurzelhaftigkeit noch 
nicht in genügendem Maße aufgegangen, derart, daß wir, 
wenn wir eine Kunst verstehen wollen, ihre heimatlichen 
Wurzeln bloßlcgcn müssen. Eher haben wir es in der 
Literatur getan, ln der bildenden Kunst schwärmten wir 
viel zu sehr für Internationalismus und Kosniopolitik und 
hielten die Betonung der lokalgeschichtlichen Bedingungen 
für engherzig. Es könnte aber wohl eine Zeit kommen, 
zu der die organische Auffassung der Kunst weit genug 
gediehen sein wird, daß wir daran gehen können, die 
Museumsbestände, soweit sie auf fremdem Boden Ge 
wachsenes beherbergen, auszutauschen, derart, daß man 
den ganzen Dürer in einem Nürnberger Dürer-Museum, 
den ganzen Turner in einem Londoner Turner-Museum 
(ein solches ist in der Tat kürzlich im Anschluß an die 
Tate-Galerie in London eröffnet worden) finden und 
studieren kann. 
Pudor (Leipzig). 
Man denke sich nach diesem Prinzip die oberitalieni 
schen Städte und Museen reorganisiert. Daß man die 
ganze Brescianer Kunst in Brescia findet, den ganzen 
Filippo Lippi, Perugino und Raphael in Florenz. Es 
könnte dann denjenigen Galerien, die die Originale aus- 
tauschen müssen, jeweils eine gute Kopie gegeben wer 
den. Lind so weit die Idee heute noch undurchführbar ist, 
könnten umgekehrt die Heimatsmuseen sich gute Kopien 
aller der Werke, die sie nicht in den Originalen erhalten 
können, herstellen lassen. Und dieser Gedanke zum min 
desten ist heute spruchreif. Jede Stadt sollte ein Heimats 
museum anlegen, das die Geschichte der heimatlichen 
Kunst lückenlos mit Hilfe guter Kopien darstellt, und so 
weit die betreffende Stadt einen »ganz Großen« hat, wie 
Menzel in Berlin, T h o m a in Frankfurt, K 1 i n g e r in 
Leipzig, sollte sie ein eigenes Museum für eben diesen 
Künstler einrichten. Ansätze hiezu finden sich übrigens 
schon in einzelnen Städten, wie das Wuertz-Museutn in 
Brüssel, das Schadow-Museum in Berlin, und auch aut 
anderen Gebieten der Kunst, Literatur und Musik, wie 
beim Körner-Museum in Dresden, beim Richard Wagner- 
Museum in Eisenach, beim Goethe-Museum in Weimar. 
Diese Heimatsmuseen brauchen aber bei der Kunst 
nicht halt zu machen, sie sind in gleichem Maße für das 
Kunstgewerbe zu fordern. Wenn wir heute ein städtisches 
Kunstgewerbemuseum betreten, begrüßen uns gewöhn 
lich an erster Stelle chinesische Bronzen und buddhistische 
Tempelnachbildungen, Derlei gehört besser in ein Völker 
museum. Ein Kunstgcwerbemusum sollte in erster Linie 
die Entwicklung des Kunsthandwerkes des Heimatsortes 
zur Darstellung bringen. Welche Unsummen haben nicht 
die Museen auf den Weltausstellungen, besonders ln 
Paris, Chicago und St. Louis, in die Erwerbung von Ar 
beiten ausländischen Kunstgewerbes gesteckt, und noch 
dazu von Dingen, die, wie Einsichtige unter ihnen zuge 
stehen, heute reif fürs Lager sind. W'ärc cs nicht ver 
nünftiger gewesen, diese Gelder für den Erwerb heimi 
scher Kunstaltertümer zu verwenden? Hier ist auch der 
Punkt, von dem aus die bildenden Fälscherkünste für 
die echte Kunst dienstbar gemacht werden können, der 
art, daß von in Privatbesitz oder in auswärtigem Besitz 
befindlichen Kunstgegenständen Kopien, Nachbildungen, 
»Imitationen« angefertigt werden. Die heute grassierende 
»Wut«, die Dörfer und alten Stätten zum Beispiel der 
'Biedermeierkunst auszuspüren und auszurauben und 
»echte Antiken« für den Handel oder fürs Museum zu be-
	        
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