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Internationale Sa m mler-Zeitung. 
Nr. 21 
reißend großer, edler und einfacher Menschlichkeit. Er 
ist der Mann, dem sie das Unerwartete Zutrauen, den sie 
über den Tod hinaus im Leben festhalten wollen, weil sie 
empfinden, daß er noch vieles hier zu tun gehabt hätte, 
und weil sie sich erinnern, daß er ihnen von jeher irgend 
eine Hoffnung gewesen ist. Schon damals, in jenen fernen 
Zeiten, da er noch Erzherzog Johann Salvator war. 
Er ist immer populär gewesen, immer beliebt und 
vom allgemeinen, erwartungsvollen Interesse begleitet. 
Aber nicht bloß, weil er Erzherzog war. Das österreichi 
sche Kaiserhaus hat immer viele Prinzen gehabt, und sie 
führen ihr Dasein still und fern, in einer unpersönlichen, 
diskreten Zurückhaltung. Wie durch eine gläserne Wand 
schaut man zu -ihnen hin: sie scheinen ein anderes, der 
Wirklichkeit des Alltags entrücktes, ins Märchenhafte ge 
hobenes Leben feierlich hinzuwandeln, scheinen eine an 
dere Luft zu atmen. Er aber trat hervor, wie immer nur 
ein paar kaiserliche Prinzen von besonderer Kraft der 
Eigenart unwillkürlich hervortreten. Er schien mit festem 
Fuß auf dem breiten Boden der Wirklichkeit zu stehen, 
mit hellen, ruhelosen Neugieraugen in das mächtige 
Kreisen des Alltags zu spähen, schien dieselbe Luft zu 
atmen wie wir. Jene unwiderstehliche Wirkung, die von 
starken Persönlichkeiten ausgeht, war um ihn her. Die 
Menge hat immer die Gabe, Persönlichkeitswerte aus 
zuwittern. Ihre Instinkte wenden sich, angelockt und fas 
plötzliche, ungestüme Fragen zu stellen, die ihn ver 
führte, sich an unlösbare, menschliche Konflikte und 
Probleme voll Trotz und mit dem ganzen Einsatz seiner 
Existenz dahinzugeben. Die Oeffentlichkeit sah ihn als 
den vertrauten Freund des klugen, witzigen, von Talent 
und Daseinsfreude strahlenden Kronprinzen Pudolf. Man 
erlebte, wie er in Gemeinschaft mit dem Kronprinzen 
einen spiritistischen Schwindler sinnreich, glatt und witzig 
entlarvte. Man las seine auf eine Armeereform heftig hin- 
drängende Broschüre »Drill und Erziehung« und fühlte 
sich von einem neuen Geist angeweht, vernahm die 
Sprache eines Mannes, der nicht schweigen kann, wenn 
sein Temperament aufschäumt. Erzherzog Johann und 
Kronprinz Rudolf, das waren ungefähr die Träger der 
Zukunft. Sie schienen beide in sich den Glanz kommender 
Tage zu bergen. Sie schienen beide die Schöpfer einer 
neuen Epoche zu werden, und sie waren schon um 
leuchtet von der Glut einer neuen josefinischen Morgen 
röte, umschimmert von zuversichtlichem Hoffen. Ausge 
löscht sind sie alle beide, die gleich einem hellen Doppcl- 
gestirn einst funkelten. Der eine wie der andere hinweg 
gerafft von tragischen Gewalten. Einer nach dem anderen 
versunken in die tiefe Finsternis eines geheimnisvollen 
Schicksals. 
Mag sein, daß der Erzherzog Johann Salvator nach 
dem Tode des Kronprinzen Rudolf innerlich ins Wanken 
Fig. 2. Sevres-Tasse mit Untertasse. 
ziniert, bedeutenden Individualitäten zu, die sie mit ihrem 
Urteil erst viel später oder niemals verstehen lernt. Und 
die Faszination, die das Wesen des Erzherzogs Johann 
übte, war groß. In seiner gedrungenen Gestalt war 
federnde Energie. Temperament und ungeduldige Ge 
sundheit war selbst im lässigen Schlenderschritt erkenn 
bar, mit dem er oft durch die Straßen spazierte, ln seinen 
Zügen war urwüchsige Kraft und Rasse. Dieses schmale, 
feinschläfige Antlitz aber war sprühend von geistiger Be 
weglichkeit. Eine blitzend wache, heiter überlegene, 
übermütig geschäftige Klugheit leuchtete aus seinen 
Augen. Und sein ironischer Mund schien, selbst mit ge 
schlossenen zuckenden Lippen, geistreich und beredsam. 
Er war vollkommen von der besonderen Art der tos- 
kanisch-habsburgischcn Prinzen: er besaß die merk 
würdige Fähigkeit, Menschen, die ihm gegenübertraten, 
mit augenblicklich konzentrierter Eorscherlust zu durch 
dringen, ihre Eigenheiten, ihre charakteristischen Merk 
zeichen so ganz und gar in sich aufzunehmen, daß sie sein 
Besitz wurden, daß er imstande war, sie mit Meister 
schaft oder sie mit schauspielerischer Kunst nachzu 
ahmen. Er hatte diesen hochentwickelten kritischen 
Sinn, diesen lächelnden Spott, diese scharfe Malice, die 
sich in hinreißende Liebenswürdigkeit hüllen kann. Und 
er hatte in seinem innersten Innern, hatte in seinen 
geistigen und seelischen Trieben jene dunkle Dämonie, 
die ihn zwang, an die tiefsten Geheimnisse des Lebens 
geriet, daß er mit dem Freund auch einen starken Halt 
verlor. Vielleicht begann auch in ihm jene österreichische 
Verdrossenheit zu gären, die leichter bereit ist, mit 
einem einzigen Ruck alles hinzu werfen, als sie sich dazu 
aufrafft, Hindernisse langsam und beharrlich zu be 
kämpfen. Johann Salvator fühlte in seinem Tempera 
ment wie in seinem Geist den unbändigen Drang nach 
großen Aufgaben und er war bis in die Tiefe seiner Seele 
durchdrungen von der Ueberzcugung, daß er zu großen 
Aufgaben berufen sei. Aber er hat sicherlich zu verschie 
denen Zeiten die verschiedensten Dinge abwechselnd 
für seine einzig wahre und wichtige Lebensaufgabe ge 
halten. Seine Geburt, sein Rang, sein Blut mußten ihn 
von Anfang an in dem Glauben bestärken, er habe eine 
besondere irdische Sendung zu erfüllen. Bestärken mußte 
ihn die Faszination, die er auf alle Menschen übte, die 
Bewunderung, das Zutrauen, das Erwarten, von dem er 
sich umgeben sah, der persönliche Erfolg, den er be 
ständig genießen durfte. Und seine lebhafte, unablässig 
schweifende Phantasie mußte ihm diese irdische Sendung 
in farbigen Träumen köstlich ausmalen. In Träumen . . . 
Aber der phantastisch rastlose Sinn dieses Mannes sah 
in Aufgaben zugleich auch Abenteuer, und der träumeri 
schen Ungeduld fehlte die Gabe, eine irdische Sendung 
aus dem Realen zu formulieren, ihre Umrisse mit prä 
ziser Knappheit zu ziehen, das mächtig treibende, nach 
allen Seiten zerrende Wollen auf einen einzigen Punkt
	        
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