MAK
Nr. 21 
Internationale Sammler-Zeitung. 
Seite 323 
zu versammeln, es dort zu stählen, dort zum großen 
Willen zu steigern. Die Sprunghaftigkeit, die so vielen 
edlen, hoch und frei über dem Leben stehenden Menschen 
eigen ist, weil sie nirgendwo zum Ausharren und ge 
duldigen Sichbescheiden genötigt worden sind, mag auch 
dieses Mannes Wesen angehangen sein. Er war wie alle 
Menschen, die starker Intuition fähig sind, rasch ent 
flammt, sah im aufleuchtenden Feuer einer Sekunde 
ganze weite Komplexe von Arbeitsfeldern, von Wir 
kungsmöglichkeiten vor sich. Und wurde dann in dem 
langsamen, schrittweisen Vorgehen, zu dem die Wirk 
lichkeit zwingt, nervös, enttäuscht, lustlos. Friedrich der 
Große, der die hohen Geistesgaben Josef II. aufrichtig 
verehrte, meinte einmal, es sei schade, daß Josef bei jeg 
licher Unternehmung immer den zweiten Schritt zuerst 
tue. Sicherlich ist diese Eigenschaft auch für den Erz 
herzog Johann Salvator charakteristisch gewesen. Er 
zeigt ia in seiner edlen, feurigen Art, in seinem witzigen, 
mit tausend vorurteilslosen Fragen auf das Leben los 
stürmenden Intellekt so viele josefinische Züge. Und so 
gehört es denn wohl auch zur Tragik seines Daseins, daß 
er immer gleich den zweiten Schritt tun wollte, ehe noch 
der erste getan war. 
Die ungeheuren Möglichkeiten, zu wirken, zu 
schaffen, sich auszuleben, die auf dem Thron gegeben 
sind, bewahren Naturen dieser Art davor, mit sich selbst 
zu zerfallen. Erzherzog Johann war aber vor solchen 
Krisen nicht geschützt. Sein Tätigkeitstrieb, der sich in 
dem größten für ihn zugänglichen Wirkungskreis noch 
beengt fühlte, schlug um sich und stieß sich wund. Sein 
Schaffenseifer war obdachlos und deshalb allen jählings 
wechselnden Stimmungen preisgegeben. Er wollte ein 
Gebiet für sich allein. Denn gerade das war es, was 
seinem ungestüm großartigen Wesen widersprach: mit 
anderen Zusammenarbeiten. Der Beruf, den er zuletzt für 
sich erwählt hat, spricht diese tiefe Neigung seines 
Wesens am deutlichsten aus: Der Brief eines absolut und 
allein schaltenden Schiffskapitäns. Nach dem Rücktritt 
des Battenbergers wollte Erzherzog Johann den Bul 
garenthron für sich; und als diese Hoffnung versank, 
regte er in dem jungen Ferdinand von Koburg das Streben 
nach dem bulgarischen Fürstenstuhl an, hatte den Plan, 
der Generalissimus Ferdinands, der Neuschöpfer einer 
jungen Armee zu werden. Und warf, weil auch dieser 
Ausweg verrammelt schien, kurz nachher alle seine Er- 
lauchtheit von sich, all seine Würden, all die vielen Mög 
lichkeiten, die ihm doch noch geblieben wären, 
schleuderte dies alles fort, wie einer, der zu ersticken 
droht, ging hin, um eine geringe, armselige Arbeit auf 
sich zu nehmen, eine Arbeit, für die auch ein subalterner 
Kopf ausgereicht hätte, für die ein Talent, wie das scinige 
viel zu schade war. Ging hin, vergeudete sich an einem 
trivialen Alltag. Und starb für eine kleine Sache einen 
großen Tod. 
Dennoch: wundervoll und ergreifend ist dieses Ver 
geuden, dieses Sich-Hingeben an eine niedrige Arbeit, 
Fig. 4. Abbondio, Wachsrelief. 
um mit solcher Hingabe einen großen, schmerzlich 
stolzen Verzicht auf diese Welt auszusprechen, in der 
man keinen Platz gefunden hat. Dieser unwiderstehliche 
Drang, der ihn antreibt, wenigstens sein eigenes Leben 
von Grund aus neu zu formen, mit eigenen Händen neu 
aufzubauen, wenn ihm schon sonst auf Erden das Neu 
formen und Aufbauen versagt geblieben ist. Freilich, er 
verfuhr dabei in einer Art, die man leicht dilettantisch 
nennen mag. Es ist ein Lebensdilettant, der den Gedanken 
fassen kann, sich zu entwurzeln, um frei zu werden. Kein 
Mensch vermag die Freiheit zu gewinnen, indem er sich 
aus seinen Wurzeln reißt. Wie soll ein kaiserlicher Prinz, 
ein Habsburger, siebenfach gekrönt schon in der Wiege, 
mit allen Fasern seines Wesens, mit allen Schwingungen 
seines Denkens gebunden an eine 700jährige Vergangen 
heit, mit allen Atemzügen der Seele gewohnt an das 
Klima seiner Höhe und bis in die Mannesjahre eingclebt 
in einen Kreis, der über allen Gesetzen sich selbst ge 
bietet, wie soll ein solcher Mensch es für möglich halten, 
daß er wmrden kann wie andere Menschen, daß er von 
sich abzutun vermag, was sich gar nicht ablegcn läßt, 
was unauslöslich in seinem Blut und Hirn wohnt. Zu 
denken, daß man jemals heimisch werden kann bei den 
Fig. 5. Vogelflinte. 
anderen, ohne beständig an sich selbst die Befangenheit 
des Herabgestiegenen zu merken, ohne fortwährend an 
den anderen die Befangenheit vor dem sich Nieder- 
! beugenden zu spüren. Lebensdilettantismus, der sich 
selbst an die zartesten Wurzeln greift und sich heimat 
los macht. Gewiß. Aber zugleich auch eine Ehrlichkeit, 
in der Tragik und Größe bewundert werden muß. 
Rührende Sehnsucht nach der unermeßlichen Freiheit der
	        
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