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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 24
eigentlich einen ganz eigenen Aufsatz widmen und ich
behalte mir vor, dies noch einmal zu tun; aber auch hier
will ich die markantesten erwähnen, die einschneidend
in das Leben des Reiches eingriffen: von Badeni —
1897 bis Mürzsteg — 1903; von den Dreadnoughts bis
zur Annexion von Bosnien, und der Reise des greisen
Herrschers in sein neues Land, das ihn, als seinen Hort
und Schützer, als den Förderer seiner Kultur jubelnd
willkommen hieß.
Wir sehen ernste und heitere Momente aüfge-
nommen, wie das wechselreiche Leben sie brachte; auch
in vielen Karikaturen, bei denen die Satire wahre
Triumphe feiert, wurden uns manche Begebenheiten vor
Augen geführt. Ich habe wohl auch einige dieser Kari
katuren — Burenkrieg etc. in meine Sammlung auf
genommen, aber nur deshalb, weil sie ein Streiflicht sind,
das auf die Zeit fällt, und darum sind sie nicht gut ent
behrlich. Aber es ist ein nicht zu begrüßendes Zeichen
eben dieser Zeit, daß gerade die Karten, die einen derb
humoristischen Anklang haben, so ausgedehnte Ver
breitung fanden.
Von den Bildern, die uns die Tagesereignisse unver
geßbar machen, komme ich nun zu denen, die uns Kunde
geben von den entferntesten und nächstgelegenen land
schaftlichen Sehenswürdigkeiten und. von den toten und
lebenden Menschen, deren Andenken — für die weitesten
Kreise — auch durch die farbigen Blättchen auf lange
hinaus festgehalten wird.
Wenn ich nun also reden will von den zahllosen
Porträtkarten berühmter Persönlichkeiten, so sind es
wohl in erster Linie die Größen der Musik- und Theater
welt, die hervorgehoben werden müssen. Vom Backfisch
mit dem Mozartzöpfchen an, bis zum alten Herrn im
schneeweißen Haar, will jeder Sammler die Musiker, die
er gehört, die Schauspieler, die er gesehen, im Bilde be
sitzen, und so flattern Tausende von Korffs, Thimigs,
Devrients, Rettys, Mildenburgs, Förster-Lauterers, Elsa
Blands, Lola Beeths, Medelskys, Duses, Sarah Bern
hards, Girardis in der Welt herum — nicht zu reden von
Lehar, Fall, Evsler, Oskar Straus und Richard Strauß,
Humperdinck, Leoncavallo, Mascagni, Siegfried Wagner
etc. Die Schriftsteller — die Helden der Feder — sind im
Bilde nicht so populär wie ihre Schriften. Wohl deshalb,
weil ihre Persönlichkeit kaum — außer ab und zu am
Vorlesetisch — ins Leben hinaustritt. Sie geben uns ihre
Gedanken in Ernst und Heiterkeit, in erschütternder
Tragik und in Goldschnittpoesie, überlassen es aber
meistens unserer Phantasie, ein Bild ihrer äußeren Er
scheinung zu verfertigen. Immerhin sind doch einige in
meiner Sammlung zu finden: Felix Dahn, Paul Heyse,
Rosegger, Ganghofer, Lombroso, Gerhart Hauptmann,
Sudermann, Ompteda, Ibsen, Hermann Bahr, Max
Nord.au, Björnson u. s. w.
Maler und Bildhauer sind auch nicht sehr häufig auf
Karten zu sehen, das heißt, die noch lebenden. Den
jenigen, denen Pinsel und Meißel aus der schaffensmüden
Hand entglitten, begegne ich oft in meiner Kollektion.
Raffael, Murillo, Holbein alt und jun, Dürer, Rembrandt,
sie ziehen im Bilde an den Epigonen vorüber. Aber nicht
nur im Selbstporträt, sondern auch in den Gemälden,
die sie von anderen geschaffen, und diese Reproduktionen
der alten herrlichen Werke bilden eine eigene Abteilung
meiner Sammlung. Wer sieht nicht immer wieder mit
freudiger Dankbarkeit die Schöpfungen, die uns der er
habene Geist der Meister früherer Zeiten gespendet?
Wer sieht nicht immer wieder von neuem mit staunen
der Bewunderung die Madonnenbilder von Raffaels
»Sposalizio« bis zu M u r i 11 o s »Himmelfahrt« ? Und
die zahlreichen anderen dazwischen, die »Madonna di
Granduca«, »della Sedia«, »Sixtina«, R e n i s »Jesus-
knaben« mit den dunkeln Feueraugen, seinen »Christus
mit der Dornenkrone«, die »Mater dolorosa«, Hol
beins Madonnen, etwas steif, aber wie großartig in der
ganzen Gruppierung, von Rubens die »Erweckung der
Tochter des Jairus«, »Christus am Kreuz«, dieses Bild,
das immer und immer wieder seine Kopisten findet und
dessen Kopien man begegnet, auf Schritt und Tritt kann
ich sagen, in den kleinen Dorfkirchen, wie in den Domen
der Großstädte. Und Murillo! Neben seinen Heiligen
bildern hat er uns Darstellungen von so unbezwing»
lichem Humor hinterlassen, daß wir bei ihrem Anblick
lächeln müssen. Die Melonen- und Traubenesser, diese
kleinen Kerle schauen uns mit ihren vor Munterkeit
funkelnden schwarzen Aeuglein entgegen, wenn wir in
der Pinakothek in ihre Nähe kommen, und man könnte
beinahe einen Moment glauben, sie leben. R e ru
bra n d t s »Saskia« und Van Dycks »Bild seiner Frau«
sind auch in meiner Sammlung vertreten, Tizians »La-
vinia«, Giorgio ne s »Konzert«, Teniers »Ostade«,
Jan B r e u g h e 1 nicht zu vergessen, und so geht es
weiter bis auf unsere heutige Zeit, bis zur Sezession und
den englischen Präraffaeliten: Stanhope, Burne, Jones etc.
Außer diesen Karten habe ich noch eine kleine
Uebersicht der interessantesten Ausstellungen, die in den
letzten Lustren stattgefunden haben: Chicago, Brüssel,
München, Paris, Dresden. Leipzig, Berlin, Frankfurt,
Prag, Wien. Die erste Ausstellung der Sezession — Wien
1898 — ist da vertreten, die Fächer- und Uhrenschau,
die Miniaturenrevue, die alte Theaterausstellung, Auto
mobil- und Gewerbeausstellungen und die Jagdausstellung
1910, die so viele und so vielgestaltige Karten brachte
wie kaum je eine aridere Exposition.
Und über die Städte-, Dörfer-, Berg-, See-, Denk
mäleransichten — nein, über die kann ich nicht mehr
viel sagen, nur, daß es wohl keine hervorragende Stadt
gibt, die nicht mit einer Ansicht bei mir vertreten wäre.
Nicht nur Europas Städte haben meine Sammlung be
reichert, auch die anderen Erdteile entsandten bunte
Blättchen.
Ein großer Vorteil der Karten ist: sie führen uns mit
Genauigkeit die schönsten und bemerkenswertesten
Punkte vor Augen; die Ansichtskarte wird ja auch, wenn
ich nicht irrig berichtet bin, an manchen Schulen zum
Unterricht verwendet, was gewiß viel dazu beiträgt, daß
! sich ein lebendiges Bild der Welt, mit den verschiedenen
Baueigentümlichkeiten und den Volkstrachten dem Ge
dächtnis der .Tugend einprägt.
Eine vollständige — auch nur annähernd er
schöpfende — Wiedergabe der Karten läßt sich natür
lich nicht durchführen. So wie das Leben seinen Gang
geht, bringt es täglich neue Erscheinungen auf diesem
Gebiete hervor. Zahlreiche sind meiner Sammelfreude
nicht entgangen, wenn ich auch nicht behaupten kann,
daß sie immer die Freude des Sammlers zu erwecken
imstande sind. Denn mitunter sind sie nicht gar hübsch.
Aber es kommt eben in einer solchen Sammlung nicht
ausschließlich der ideale Standpunkt in Betracht, wenn
gleich ich, auf die Gefahr hin, unmodern genannt zu
werden, gestehen muß, daß ich immer bemüht war, von
den Bildern diejenigen zu wählen, die das Auge nicht be
leidigen und sogar manchmal, wenn es nicht anders ging,
darauf verzichtet habe, einzelne Karten in meine Samm
lung aufzunehmen. Denn ich glaube, daß wir Menschen
dazu da sind, das Schöne zu fördern und zu propagieren,
ich glaube, daß wir dazu da sind, zu trachten, daß die
Fahne, auf der in unverwischbaren Lettern das Wort
»Kunst« geschrieben steht, nicht herabgezogen werde,
sondern hoch in den Lüften flattere, im reinen Aether der
Schönheit.