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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 4
Die Porträt-Galerie in der Leipziger Handelskammer.
Von Dr. Ludwig
Das alte Leipzig gewinnt mehr und mehr ein anderes
Gesicht im Lichte der Forschung. Man kannte es als eine
Handelsstadt mit regem, flottem Lehen, der ein Kräng von
Gärten und Villen die Anzeichen äußerer Schönheit verlieh;
man wußte auch,. daß berühmte Maler vor etwa hundert
Jahren hier tätig gewesen sind, und man kennt eine Anzahl
guter architektonischer Leistungen aus früherer Zeit. Aber
das ist schließlich nicht mehr, als auch viele andere wohl
habende Städte ins Treffen zu führen wissen. In unseren
Tagen erst sind Tatsachen bekannt geworden, die eindring
lich genug dafür sprechen, daß das Leipzig um die Wende
des achtzehnten Jahrhunderts innerhalb der damaligen Ver
hältnisse auch Kunststadt gewesen ist, daß cs eine Stätte
war, an der Kunst und Künstler weidlich gefördert wurden.
Vor kurzem erst, gelegentlich der Eröffnung des Stadtge
schichtlichen Museums haben sich Perspektiven genug nach
dieser Seite hin aufgetan. Zugleich sind eine Menge wert
voller Kunstgegenstände aus dem älteren Leipzig bekannt
geworden, die der Vergessenheit bereits überliefert waren,
und nun führt der neu eingerichtete große Sitzungssaal der
Handelskammer, der heute seiner Bestimmung übergeben
wird, mit seinen reichen Schätzen an alten Porträtwerken
abermals ein gutes Stück weiter auf dem Wege der Ent
deckungen.
Die Notwendigkeit einer Erweiterung unserer Handels
kammer lag vor. Die Räumlichkeiten w r aren knapp und man
hat die akut gewordene Frage nach neuen Räumen dadurch
gelöst, daß man dem schönen Bau im Stile eines gemäßigten
klassischen Barock ein Stockwerk aufsetzte. Nicht in jener
Höhe und Weiträumigkeit geschah es. wie das Barock sie liebt.
Es galt, Arbeitsräumc zu schaffen, und so hat man sich denn
mit einem abschließenden niederen Stockwerke in den ge
gebenen architektonischen Formen begnügt. Dabei konnten bei
der Deckung des Hauses heimatliche Motive in Anwendung
gebracht werden, eine neue Tönung, die man dem Bau ge
geben. verdeckt die Unterschiede, die zwischen den alten und
den neuen Teilen des Hauses hätten zutage treten müssen.
Ist der ausführende Architekt Schmidt der Außenarchitektur
mit viel Glück gerecht geworden, so kann man das erst recht
von jenen Räumlichkeiten sagen, in denen er als Innenarchitekt
zu arbeiten hatte. Da galt es zunächst die Umgestaltung dreier
Räume im Hauptgeschoß, die jetzt die Bestimmungen eines
Ausschußzimmers, eines Beratungszimmers und eines großen
Sitzungssaales übernehmen. Ueberall waltet ein vornehmer
Geschmack, selbst da noch, wo sich das Wesen der dekorativen
Elemente, wie in dem kleinen Beratungszimmer, dem Stil der
anderen beiden Räumlichkeiten nicht recht hat cinfiigen wollen.
Als eine vollwertige Leistung ist indes der Plenarsaal an-
zusehen.
Der Architekt ging hier zunächst auf eine farbige Wirkung
aus und das Braun der polierten Täfelung in Nußbaum und das
warme Rot der Wände gehen zu einem schönen Akkord zu
sammen, zu dem allerdings das Gold 'der Bilderrahmen ein
wertvolles Wort mitredet. Ueber der Täfelung steigt eine Ord
nung etwas schwach profilierter Pilaster in die Höhe, die die
Wände in größere und kleinere Felder teilt, in denen die
Porträts der Kramermeister von den Jahren 1630 bis 1870 —
im ganzen 118 an der Zahl — Unterkunft gefunden haben. Wer
die Kramermeister sind, und was dazu berechtigt, ihre Bild
nisse hier aufzuhängen, darüber ist noch zu sprechen. Zunächst
sei festgestellt, daß bei der von Professor Dr. Julius Vogel
vorgenommenen Sichtung dieser Bilder wieder neun vorzüg
liche Porträts von Anton Graf f, vier ausgezeichnete Bilder
von Fr. Aug. Tischbein und Originalwerke anderer aner
kannter Maler für die Kunstgeschichte gewonnen wurden.
Weber (Leipzig).
Weitaus die meisten der Porträts sitzen noch in den Original-
rahmen ihrer Zeit, für die wenigen, bei denen die echten
Rahmen nicht mehr vorhanden waren, sind neue in den ge
gebenen alten Formen hcrgestellt worden. Zwei kleinere Ovale
an der unteren Leiste des Rahmens führen die Namen des
Dargestellten und des Malers, dazwischen sitzt ein Medaillon,
das auf rotem Felde die Hausmarke, die Geschäftsmarke des
betreffenden Kramermeisters führt. So präsentiert sich das
Ganze in einer absoluten Einheit, in der es denn auch einen
durchaus festlichen und großzügigen Eindruck macht. Man
kann es unverhohlen aussprechen: dieser Plenarsaal der
Leipziger Handelskammer hat seinesgleichen nicht in Deutsch
land, und es ist durch ihn eine Sehenswürdigkeit mehr in
Leipzig geschaffen.
Diese Galerie von hundertachtzehn Porträts
bedeutet ja zugleich einen Beitrag zur Geschichte der Bildnis
malerei in Leipzig. Denn nicht nur die schon genannten Graft
und Tischbein, auch Samuel Bottschild t, David H o y e r
und Ernst Gottlob Hau ß mann, der besonders durch seine
beiden vortrefflichen Porträts von Gottsched und der Gott
schedin im Katalogsaal der Universitätsbibliothek sich seinen
Nachruhm geschaffen hat, sind hier vertreten. Die Porträts
von Anton G r a f f sind alle aus der besten Zeit des Malers,
aus den Jahren 1775 bis 1798, in der der Künstler auf der Höhe
seines Schaffens stand. Es war die Zeit, in der Graff im Auf
träge des Leipziger Buchhändlers Philipp Erasmus Reich nicht
weniger als 25 Gelehrte und Dichter malte, deren Bildnisse
heute alle der Universitätsbibliothek gehören. Friedrich August
Tischbein kann als Porträtmaler, und besonders mit den
vortrefflichen Arbeiten, die die Handelskammer besitzt, fiiglieh
an die Seite von Anton Graff gestellt werden. Freilich kommt
es darauf an, seine Bilder aus der Masse dessen zu scheiden,
was unter dem Kollektivnamen Tischbein bekannt ist; die
Kunstgeschichte kennt ja nicht weniger als 22 Träger dieses
Namens, die fast alle gemalt und meist auch porträtiert haben.
Jedenfalls ist der Leipziger Friedrich August Tischbein nicht
mit Wilhelm (dem Goethe-Tischbein) und nicht mit Johann
Heinrich Tischbein (dem sogenannten Kasseler Rat) zu ver
wechseln. Er kam 1801 als Nachfolger des 1799 verstorbenen
Adam Fr. Oeser als Direktor der königlichen Akademie der
Künste nach Leipzig, wo er bis zum Jahre 1813, allerdings mit
vielen Unterbrechungen, tätig war, und starb in Heidelberg
bei seiner Tochter. Ein in Bälde zu erwartendes Buch eines
hiesigen Gelehrten wird noch mancherlei Aufklärung über den
Künstler bringen. Ueber die drei Bottschildt, die sieben Hoyer
und die sieben Haußmann, die bei dieser Gelegenheit der
Kunstgeschichte zurückgewonnen wurden, braucht nicht be
sonders gesprochen zu werden. Es sind gute Bilder innerhalb
der besonderen Fähigkeiten dieser Maler. Aber den Dar
gestellten, den Kramermeistern selbst, seien noch einige Worte
gewidmet.
Ueber den Begriff eines »Kramermeisters« liegt für die
große Allgemeinheit heute bereits ein völliges Dunkel. 1870
noch gab es einen Kramermeister in Leipzig, und heute, nach
einem knappen Menschcnalter schon erinnern sich nur noch
die Alten und Aeltesten, was denn ein Kramermeister eigent
lich w r ar. - Er führte den Vorsitz der Innung der Kleinkauf
leute, der Detailhändler, und hat zeitweilig, je nach der Be
deutung seiner Persönlichkeit, eine Stellung von nicht ge
ringem Einflüsse auf Handel und Verkehr gehabt. Das Markt-
wesen und auch einzelne Verkäufe sind seit den
Jahrhunderten des Mittelalters herauf von den Kramenneistern
in Ordnung und Regeln gehalten worden. Seit dem letzten
Drittel des siebzehnten Jahrhunderts aber berieten die Kramer
meister gemeinsam mit den Vertretern des Großhandels. Es