REISE NACH SALZBURG.
n Salzburg ist auch das Tote lebendig. Die Steine reden. In
den welkenden Mauern zittert ein Nachhall der grossen
Historie, webt ein Hauch von abgestandenem Weihrauch,
vermischt mit leisem Parfüm höfischen Courtisanentums. Selt
same Mischung; so seltsam wie die Madonnenbilder in Salz
burgs alten Kirchen und Kapellen, diese gnadenreichen
Madonnenbilder, die voll irdischer Lebensfreude lächeln, so hold
verschämt lächeln in dem Heiligenscheine, verwirrt und ver
wirrend zugleich, dass der fromme Beter, von dunklen Ge
fühlen gepackt, die heissen Augen von diesem Gnadenreichtum
nicht abzuwenden vermag. Abends werden Stimmen laut, die
aus anderen Jahrhunderten kommen. Das Glockenspiel. Dünne,
gebrechliche Klänge, die in die Luft hinaufwimmern, hell und
zart wie Vokalmusik am Spinett begleitet, und zierlich und
geziert wie Menuettschritt. Sehr viel verblichene Grazie. Ist
das süss bimmelnde Getändel zum Schweigen gebracht, dann
geht ein frommer Schauer durch die horchende Stadt. Der
„Stier von Salzburg^ kommt an die Reihe. So heisst das ur
alte Orgelwerk auf der Hohenveste, angeblich aus der Zeit des
Erzbischofs Leonhardt v. Keutschach, der die Salzburger nach
seiner Pfeife tanzen lehrte. □
Auf das siebzehnte Jahrhundert das vierzehnte. Da geht es frei
lich aus einem ganz anderen Ton. So wie es die damalige
Zeit brauchte und jener Mann, dessen kernige Bauernfaust
das Weihrauchfass ebenso kunstgerecht schwang wie das
Schlachtschwert. „Und soll mein halb's Bistum draufgehn!“
Aber die bis dahin autonome Stadt musste sich seiner Gewalt
beugen. Seither gellte es die Orgel tagtäglich dem Bürger in
die Ohren. Er merkt heute noch auf. Eine brausende Tonfülle
giesst sich von obenher über die Stadt, schwerflüssig, mächtig
anschwellend, aus allen Registern strömend, mit ungeheurer
Gewalt, als ob der Herr mit allen Donnern niederführe, dann
wieder in sanften Zügen, weich und hochgelind wie die
Stimme der Seligen. Es ist das stärkste Mittel jener Macht,
welche das geistliche Salzburg über seine Seelen hatte. Der
Alltag steht aufhorchend still; erst wenn oben der letzte Ton
verknurrt, geht er wieder seinen trägen Lauf. Die alten Häuser
schliessen die Fensterläden zu wie müde Augenlider; sie
schlafen. Die Brunnen auf den einsamen Plätzen rauschen ihre
einförmige Weise und die stillen Gassen schaudern auf, wenn
in ihre alten Träume laute Schritte hineinhallen. Die Stadt
scheint wirklich entschlafen. Sie scheint es nur. Da und dort,
wo ein roter Vorhang einen Blutschein auf das Pflaster wirft,
fliegt klirrend eine Tür auf, Licht und Lärm dringen aus der
Bierstube auf die Strasse und sind im nächsten Augenblick,
als die Tür wieder krachend zufliegt, wie abgeschnitten.
Schwarz und ungetüm liegt ein unförmiger Gebäudekomplex
da, ungastlich, keine Pforte, kein Licht. Aber durch die Mauer
dringt Gesang, gedämpft zwar, doch vernehmlich, Männerchöre
mit frischen, kräftigen Stimmen. Was sie singen, ist nicht fromm.
Gewiss nicht! □
Der Salzburger trägt die Frömmigkeit wie ein Kleid, das man
anlegt der Leute wegen. Weil's so Sitte ist. Um die Sitten steht’s
darum nicht besser. Die vielen Wirtshäuser haben ihre Stamm
gäste so gut wie die vielen Kirchen. Wie immer und überall,
sie geben ihre Gäste einander ab, „Man schmaust, tanzt, macht
Musik, liebt und spielt zum Rasen,“ schreibt der Historiker
vor mehr als hundert Jahren. Auch die Erzbischöfe taten darin
das Ihrige. Einer, Wolf Dietrich, war heimlich vermählt mit
einem Bürgersmädchen. Salome Alt war das schönste Mädchen
ihrer Zeit. Sie machte die Honneurs bei den fürsterzbischöf
lichen Banketten. Die galanten Abbés, die Domherren mit den
grünlichblassen Gesichtern waren Feinschmecker. Die gemalten
und gemeisselten Madonnen atmen noch das Leben jener
süssen Frauen, von denen die frommen Väter in ihren Gräbern
träumen. Salzburg war auch in der kirchlichen Zeit eine Mon-
daine, die den Heiligenschein trug wie eine Kokette. Bei aller
Gottesfurcht ein bisschen Diebsgelüst ... □
Unzertrennlich von dem Namen Salzburg ist die Vorstellung
einer entzückenden Landschaft. Anmut und Erhabenheit
ist in dem Bilde vereinigt. Es hat die Lieblichkeit des
Hügellandes und die Grossartigkeit des Felsengebirges. Von
Hellbrunn aus gesehen, liegt die Hohenveste auf dem grünen
Sockel des Mönchsberges wie eine mächtige Märchenkrone.
Sie ist das Verteidigungswerk des mittelalterlichen Salz
burgs, ein Zwängsalzburg. In späteren Jahrhunderten gab
die neue Kultur von Italien her dem Bauwesen einen anderen
Sinn. Die Kunst der italienischen Städterepubliken wurde zum
Vorbild, wie überall in Europa, aber in keiner anderen Stadt
ist der neue künstlerische Niederschlag für das Gesamtbild so
entscheidend gewesen als hier. Wolf Dietrich war nicht bloss
Bischof, er war vor allem Weltmann und ein Freund der
schönen Künste. Dem Haus der Mediceer ist er durch Ver
wandtschaft und Gesinnung verbunden. Die berühmtesten
Künstler der Zeit haben hier gearbeitet; man nennt Scamozzi,
Solari, Hildebrandt, Fischer von Erlach u. v. a. Der Fürst
durfte es wagen, den Fuss wieder ins freie Land zu setzen;
Mirabell entsteht als neues Stadtschloss und Hellbrunn als
Sommerschloss, beide durch eine herrliche Gartenarchitektur
ausgezeichnet, viel zu wenig gewürdigt, denn sie liegen uns zu
nahe und auf österreichischem Boden, was Grund genug ist.
In der alten Stadt Salzburg, auf der einen Seite durch den
Fluss, auf der anderen durch den Felsen und die Hohenveste
in einen ausserordentlich günstigen Verteidigungsstand gesetzt
und in einer für die damaligen Verhältnisse strategisch überaus
bevorzugten Lage, geht eine künstlerische Umwandlung vor sich.
Die Urzelle des Stadtwesens, der Waagplatz, die Judengasse,
die Getreidegasse, die Mittelalterlichkeit der angrenzenden
Gassen und Gässlein haben sich zum grossen Teil erhalten,
aber sie schliessen einen Kern von Residenzen und Residenz
plätzen ein, deren räumliche Schönheit eine wesentlich andere
Baugesinnung ausdrückt, als bei dem pfennigfuchsenden Bürger
tum in den engen, winkeligen Gassen, oder in den älteren Tagen
der Verteidigungssorgen zu erwarten war. Der Bezirk St. Peter,
der Kapitelplatz, der Domplatz, der Residenzplatz, der Mozart
platz und Universitätsplatz, sie stellen ein Gefüge herrlicher,
geschlossener Platzgebilde dar, luftigen Fürstensälen gleich, eine
Raumentfaltung, die Architektur im besten Sinne ist, verschwen
derisch im Herzen der engen Stadt. Fürstenkunst, nicht Bürger
kunst. Aber Mirabell, das schon ausserhalb des eigentlichen
alten Stadtbereichs, auf dem anderen Ufer der Salzach liegt,
und Hellbrunn, gar eine Stunde weit in der breiten Talsohle
gegen Untersberg, beweisen auf das klarste, DASS DIE BAU
GESINNUNG DER FÜRSTEN UND IHRER KÜNSTLER
AUF DAS GANZE GERICHTET WAR. Auf dem Rosen-
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