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Internationale 
^ammler^eifiing 
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde. 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
5. Jahrgang. Wien, 1. Juni 1913. Nr. 11. 
Eine Richard Wagner-Sammlung. 
Von Hermann Menkes (Wien). 
In diesem Wagner-Jahr, das eine Flut von Gedenk- 
schritten und persönlichen Erinnerungen an den im 
strahlenden Glanze dastehenden Meister brachte, ist es 
wohl passend, eine Sammlung zu würdigen, die uner 
müdlicher Fleiß, Finderglück und Opferwilligkeit zu 
sammengebracht. Es ist das von dem Wiener Musik 
schriftsteller Emmerich Kästner angelegte Wagner- 
Archiv, das dem Besucher wohl keine überraschen 
den Schätze und Reliquien zu bieten hat, dem Forscher 
aber mancherlei Behelfe, wertvolle Dokumente und eine 
Reihe von Seltenheiten. Das Ganze ist das Werk eines 
Privatmannes, der in persönlichen Beziehungen zu 
Wagner stand und dessen Liebe sich in einen Kultus 
des Meisters, in ein Sammeln großer und kleiner Doku 
mente über dessen Wirken umsetzte. 
Emmerich Kästner, der im Hauptberufe zuerst als 
Staatsbeamter, dann im. Rothschildschen Hause tätig 
war, ist ein Altwiener Bürger, einer von den letzten, 
deren Erinnerungen bis zur Epoche jener geistigen und 
künstlerischen Blüte dieser Stadt reichen, in der Grill 
parzer und Hebbel ihr Lebenswerk vollendeten, das 
Burgtheater seinen Weltruhm errang und in Fanny 
Elßler die ganze heitere Anmut Wiener Kultur sich ver 
körperte. Früh schon von seiner Mutter zu einer Hin 
gabe an alles Künstlerische und Geistige angeleitet, 
v ollten es Glück und Zufall, daß schon der Knabe Fried 
rich Hebbel, die Elßler und viele andere der literarischen 
und künstlerischen Kapazitäten Wiens im persönlichen 
Verkehr kennen lernen durfte. Als musikalischer Ama 
teur und durch die Heirat mit einer geschätzten und 
musikalisch hochbegabten Künstlerin kam Kästner in 
ein freundschaftliches Verhältnis zu Franz Liszt, den 
er in Weimar aufsuchte. Durch ihn erfuhr Kästner, daß 
Wagner wegen eines Kopisten momentan in Verlegen 
heit war und freudig nützte der junge Wagner-Enthusiast 
nun die Gelegenheit, sich in den Dienst des Meisters für 
einige Zeit zu stellen und ihm in dieser Weise näherzu 
treten. Unverzüglich begab er sich nach Bayreuth und 
trat in die sogenannte Nibelungenkanzlei ein, deren 
letztes überlebendes Mitglied er nun ist. 
Hier lernte er Wagner in der ganzen Intimität seines 
Wesens kennen, hörte von ihm manche charakteristische 
Aeußerung, manches Wort über Freunde und Gegner. 
Das war anfangs der Siebzigerjahre. Manche hübsche 
Anekdote weiß der Wagner-Gelehrte von dem Meister 
zu erzählen, in dessen Hause er auch Hans v. B ü 1 o w 
kennen lernte. Wagners Geburtstag sollte gefeiert wer 
den und zu dieser Gelegenheit hatte ihm Liszt einen 
Kaisermarsch gewidmet. Liszt und Kästner saßen eben 
am Klavier, um im geheimen das Musikstück einzu 
studieren, als Wagner unversehens eintrat und die beiden 
bei ihrem Komplott überraschte. Ohne ein weiteres Wort 
ergriff er eine Papierrolle, die er als Dirigentenstab zu 
dem vierhändigen Klavierspiel benützte. Liszt war nicht 
wenig erheitert von dieser Szene, die der zugedachten 
Ueberraschung den Garaus machte . . . 
Glücklich über das Zusammensein mit Wagner, 
dachte Kästner zuerst gar nicht daran, Handschriftliches 
in Widmungen und Billetts aufzubewahren, sondern be 
gnügte sich mit Kopien der größeren Werke und den 
dedizierten Schriften. Erst später verlegte er sich auf ein 
systematisches Sammeln. In dieser Weise entstand das 
kleine Archiv. 
Es umfaßt zunächst die Preßurteile über Wagner 
von den Vierzigerjahren an bis zur Gegenwart. Man 
ches verloren gegangene Blatt ist so aufgehoben, das 
mit das uns jetzt unbegreiflich erscheinende Verhältnis 
der Zeitgenossen zu Wagner in krasser Weise be 
leuchtet. Diese Sammlung von Urteilen ist fast lücken 
los. Aus den saftigsten Urteilen legte Kästner eine Art 
Anthologie an, in der die Träger berühmtester Namen 
als heftige Wagner-Gegner figurieren. Neben diesen Aus 
schnitten sind Wagner-Karikaturen, die zum Teil schon 
publiziert wurden, und Par'odien aufbewahrt. Wertvoll 
und interessant ist die Sammlung von Affichen und Pro 
grammen von Erstaufführungen Wagnerscher Werke, 
die eine fast vollständige Uebersicht über die Erst 
besetzungen geben. Einen von ihm mit erstaunlichem 
Fleiß zusammengestellten Katalog über die Wagner- 
Literatur und die Wagner-Briefe hat Kästner bereits ver 
öffentlicht. Ganz komplett sind in den Sammlungen die 
Erstausgaben der einzelnen Schriften Wagners, die zum 
Teil nicht mehr aufzutreiben sind. Unter diesen Dingen 
fehlen auch nicht die Uebersetzungen der Operndichtun 
gen und Schriften ins Französische in der Originalaus 
gabe.
	        
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