THRAKIEN IN DER
FRÜHEN EISENZEIT
(GEOMETRISCHE
KUNST,
12.-1. JH. V. U.Z.)
◄ 89
Über Thrakien in der frühen Eisenzeit
besitzen wir nur wenige Nachrichten.
In Mythen und Sagen ist kein Name
eines Königs oder Fürsten überliefert
und noch weniger genaue Angaben
über irgendwelche interessante Er
scheinungen. Geblieben sind nur Hü
gel, von denen in dieser Epoche be
merkenswert viele entstanden. In der
Archäologie wird diese Periode als die
frühe Eisenzeit bezeichnet. Wir könn
ten sie auch die Zeit der Megalithen
oder der geometrischen Kunst nen
nen.
Wie die Einfälle von Völkerschaften
vor und im 12. Jahrhundert vor un
serer Zeitrechnung auch verlaufen
sein mögen, eines ist klar ersichtlich:
je weiter wir nach Südosten kommen,
desto bedeutender waren diese Völ
kerverschiebungen, die, von Europa
ausgehend, in Richtung auf Asien
verliefen und in großen Wellen auch
Thrakien überfluteten. Die thrakische
Bevölkerung erlebte schwere Zeiten,
ein Teil mußte aus den großen frucht
baren Ebenen fliehen und im Sakar-
und Strandzagebirge, in den Rhodo
pen im Osten und im östlichen Balkan
Zuflucht suchen.
Als diese Einbrüche fremder Völker
schaften aufgehört hatten, erschienen
in den südöstlichen Gebieten große
steinerne Grabmäler, die Dolmen, die
aus mächtigen, aus dem Fels ge
brochenen Steinplatten errichtet wur
den. Ihre aus ein oder zwei Platten
bestehenden Wände umschlossen eine
Grabkammer, die 2 bis 2,5 m lang
sein konnte und von einer einzigen
Platte bedeckt wurde. Manchmal füh
ren ein Gang (Dromos) und ein Vor
raum zur Grabkammer, die oft mit
einem falschen Gewölbe überdacht
und von einem aufgeschütteten Hügel
überdeckt war. Schließlich findet man
- wie immer im Südosten - auch
Felsengräber. Alle diese Gräber waren
nur für die Stammesaristokratie be
stimmt. Schon im Altertum, aber auch
im Mittelalter und am häufigsten in
der Neuzeit ausgeraubt, liefern uns
die Dolmen und Felsengräber heute
nur noch Keramik. Trotzdem sind in
Nordwestthrakien, wo die Handwerks
produktion ebenfalls für die Aristo
kratie bestimmt war, reichere archäo
logische Funde zutage gekommen.
Dabei ist zu bemerken, daß in den
Frauengräbern hauptsächlich Fibeln
und in den Männergräbern Waffen und
allerlei Zubehör von Pferdegeschirr
gefunden werden.
Wie in Griechenland, zeigt auch die
Keramik in Thrakien in dieser Epoche
eine Rückkehr zur alten Technik und
zum alten dekorativen Repertoire.
Aber die Ausführung ist einfacher
und manchmal sogar ungeschickt. Zu
den vorherrschenden Ornamenten ge
hören Kreise mit einem Punkt in der
Mitte, miteinander verbundene Drei
ecke und andere geometrische Mo
tive, Zickzacklinien oder Spiralen. Die
se Verzierungen sind meist gekerbt,
oft mit weißer Farbe inkrustiert, hin
und wieder auch erhaben. Die
Toreutik erreicht nicht die Vollkom
menheit der vergangenen Epochen.
In Ostthrakien kehren die Fibeln zum
Vorbild der ionischen Inseln zurück
und im westlichen Thrakien zu denen
des griechischen Festlandes und Ma
kedoniens. Die bronzenen Tierfigür-
chen dieser Epoche sind charak
teristisch. Sie imitieren wiederum im
Westen griechische und makedonische
Vorbilder, im Osten weisen sie, aller
dings selten, östliche, den klein
asiatischen sehr nahestehende Ele
mente auf. Ebenfalls östlich beein
flußt sind bei den Thrakern gewisse
königliche Insignien, die wir aus
Kleinasien kennen. Zu diesen gehört
an erster Stelle das eiserne Szepter,
dessen oberer Teil - als Axt geformt
und mit Tierköpfen oder Tierfiguren
verziert - aus Bronze ist. Aber wäh
rend im Osten alle Äxte einen höl
zernen Stiel haben, wandeln sich
manche von ihnen in Thrakien zu einer
Art Amulett und sind nichts anderes
mehr als eine verallgemeinerte geo
metrische Figur. Auf den Äxten in
Thrakien sind Widder, Stier, Ziegen
bock, Hirsch, Pferd und Vogel an
zutreffen. Dieser Axttyp ist sehr weit
nach Norden verbreitet und wurde
auch im Gräberfeld von Hallstatt an
getroffen.
Andere königliche Insignien aus dieser
Epoche, die von Homer als bei den
Karern und Lydern üblich erwähnt
werden, sind verzierte Stirnplatten,
die uns vom ganzen nördlichen Teil
der Balkanhalbinsel her bekannt sind.
45