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Internationale Sammler-Zeitung.
Nr. 15/16
Napoleon über das Sammeln
In dem »Alt-Wiener Guckkasten« von Paul W e r t h e i-
ni e r, der soeben bei Paul Knepler in Wien erschien,
findet sich die Schilderung einer Audienz Franz ü r ä f i e r s,
des bekannten Wiener Antiquars und Sammlers, bei Napo
leon 1. in Wien, die ein interessantes Streiflicht auf die An
sichten wirft, die der große Korse über das Sammeln hatte.
»Eines Tages«, erzählt Gräffer in seiner amüsanten Weise,
»sehe ich meinen uralten Oheim Rudolph bey mir, einst einer
der allervornehmsteti Sosier (Gräffer drückt sich da sehr
preziös aus, Sosier war eine Buchhandlung im alten Rom und
Gräffer meint also Buchhändler. Er selbst stammte ja aus
einer alten Buchhändler- und Aiitiquarfamilie) Deutschlands,
was man dort und da noch liest, noch weiß.«
»Du hast jetzt Muße,« sagte diese würdige Ruine. »Ich
habe ein Geschäft für dich. Hier die Urkunde meiner Geld
forderung an die französische Regierung. Sie ist zwar aus
alter Zeit, allein —.«
»Nun,« unterbrach ich ihn, »was kann ich?«
»Geh’ zu Napoleon,« versetzte er ruhig, »geh' an meiner
Statt!«
»Geh’ zu Napoleon!« — Wie ein Blitz ergriff mich das.
Ich besah das Dokument! Fast so viele tausend Frank,
als der Gläubiger Jahre. Das Dokument nahm sich sehr gut aus.
Zu Napoleon gehen, das konnte man so schlechtweg
nicht. Ich ging vorerst, aber wirklich ganz schlechtweg, zu
D u r o c. Duroc war die schönste Laune, die Liebenswürdig
keit selbst. Ich war feurig wie der Teufel. Das gefiel ihm —
und — ich ging zu Napoleon.
In Schönbrunn. Duroc führte mich ein.
Der Kaiser inmitten seiner Generale — die ganze Iliade
tauchte flammend in mir auf. Bei seinem Anblick wurzelte ich
am Boden. Ich fühlte, daß ich totenblaß sein müsse. Dazu
noch dieses: Es schien, die erhabene Gruppe sei im Begriff,
sich zur Parade zu begeben.
Allein Napoleon, mit einem Blick auf Duroc, winkt. Ich
trete heran, zwar fest, aber ich fühlte, daß ich feuerrot sein
müsse. Ich überreichte das Memoire Napoleons zarten Hän
den, die bekanntlich auch allen seinen Geschwistern eigen.
Der Kaiser durchlief das Papier eine Minute lang. Dann
sah er mich kalt und fest an. Ich, schon voll Fassung, hielt
diesen Blick ruhig und energisch aus.
»Sie sind?«
»Des Bittstellers Neffe, Sire?«
»Welchen Landes?«
»Majestät! Ein Pariser!«
Napoleon schwieg, betrachtete mich aber mit einer son
derbaren Schärfe.
Mit einer Verbeugung setzte ich hinzu: »Sire, alle
Wiener sind zu Parisern geworden.«
Kaum waren mir diese Worte, nur einem leichtsinnigen
jungen Menschen verzeihlich, entschlüpft, als ich die Plump
heit, die Lächerlichkeit, das Verwerfliche, die Abscheulichkeit
dieser Schmeichelei tief, tief empiand.
Napoleon durchschaute sogleich alles. Er weidete sich,
wie es schien, einen Augenblick an meinem Schamgefühl. Er
lächelte mild. Dieses Lächeln! Ich begriff nun faktisch den
unbeschreiblichen, allgepriesenen Zauber dieses Mundes, auf
dem, wenn er lächelte, die Grazien thronten, hinrissen,
fesselten.
»Die Jugend,« sagte er sanft, »ist da, sich zu übereilen.
Aber die Wiener übereilen sich sonst nicht. Ich kenne sie gut.
Es sind brave Leute, recht sehr liebenswürdig, besonnen, ver
ständig, folgsam, bieder als Landeskinder. Ich ehre die
Wiener.«
Dieses Wort aus diesem Munde, an dieser Stätte erhob,
entzückte mich.
»Könnte ich jetzt der Repräsentant aller Wiener sein,«
sagte ich begeistert.
»Wer sind Sic sonst?« fragte Napoleon kalt.
»Buchhändler, Sire.«
»Und das in Deutschland?« versetzte er wie ironisch.
»In dem phlegmatischen Deutschland, wo man auf den Ruhm
nichts hält, so gut wie nichts. Dieses ideologische Land hat
viele große Schriftsteller, aber die dürfen oder wollen nichts
für die Nachwelt hervorbringen. Man kennt sie also nicht,
folglich existieren sie nicht. Was soll es dann mit dem Buch
handel?«
»Sire,« fiel ich ein; aber Napoleon ließ mich nicht zu
Worte kommen und fuhr wie sprudelnd fort: »Dieser Handel
wird stets nur in Frankreich und England blühen. Allein er
ist ein lächerliches Gewerbe. Er nährt sich nur von der Narr
heit. Die Büchersammler sind Tröpfe. Eine Masse von Dingen
aufsammeln, aufspeichern, von denen man kaum ein Tausend
stel genießen, benützen kann. Es ist Narrheit! Ja Gemälde,
Münzen, Kupferstiche! — Die Idee des Buchhandels ist Un
sinn.« Hier brach der Kaiser plötzlich ab.
Ich benutzte diesen Moment, um den Gegenstand meiner
Audienz zu erörtern.
»Hoffen Sie nicht,« bemerkte Napoleon, »die Sache
scheint etwas verjährt, erloschen.«
Bei diesen Worten schritt Napoleon vorwärts. Der Zug
erhob sich in den großen Hof zur Revue.
pem
Chronik.
Autographen.
(Ein Musikmanuskript Richard Wagners.)
Im Katalog 231 »Autographen und Urkunden« der Verlagsbuch
handlung und des Antiquariats J. A. Stargardt, Berlin W. 35, fin
den wir unter Nr. 277 folgendes (auf 6500 Mark veranschlagte)
Ineditum beschrieben: Eigenhändiges Musikmanuskript mit den
Initialen R. W. gezeichnet. Ohne Ortsangabe und Datum (aber
Zürich, Dezember 1857), 10 Seiten (auf 10 einzelnen Blättern)
Querquart. Arrangement seines Liedes »Träume« (Studie zu
Tristan und Isolde) für Solo-Violine und zehnstimmiges kleines
Orchester (1. Violine mit Dämpfer — 2. Violine mit Dämpfer —
Bratsche — Violoncell — 1. Klarinette in B — 2. Klarinette in B
— 1. Fagott — 2. Fagott — 1. Horn in F — 2. Horn in F). Jede
Stimme des kleinen Orchesters ist ganz von Wagners Hand ge
schrieben und trägt am Ende groß und deutlich seine üblichen
Initialen R. W. mit Schleife, mit Ausnahme der Stimme des
zweiten Fagotts, bei welcher die Initialen fehlen. Hiezu fügt
der Katalog folgende Ausführungen: »Wir lesen in »Glasenapp,
das Leben Richard Wagners«, 3. Auflage, Bd. II, zweite Ab
teilung, S. 169 (im Kapitel über Wagners Züricher Aufenthalt im
Hause Wesendonck, 1857/58): »Aus der gleichen Quelle (d. h.
von Frau Wesendonck selbst) erfahren wir, wie er einmal, im
Dezember, zum Geburtstage der werten Gönnerin, in der Frühe