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Nr. 19
Internationale Sammler-Zeitung.
Edvard Munchs Graphik.
(Zur Sonderausstellung in der Galerie Arnold in Dresden.)
Von Emil Waldmann (Dresden).
Unzweifelhaft ist der interessanteste Künstler un
serer Gegenwart der Norweger Edvard Munc h. Ein
aktuelles Thema. Der Impressionismus, sagt man, sei
erschöpft, nun komme der Expressionismus an die
Reihe; und wenn das eine Wort auch ebenso unzuläng
lich ist wie das andere, soviel ist sicher und soviel sieht
man überall, wohin man im modernen Kunstleben auch
blickt. In der neuen Kunst handelt es sich nicht mehr,
wie bei Manet und Monet, bei Liebermann und Slevogt,
um die Gestaltung eines Sinneseindrucks (Impression),
sondern um den Ausdruck eines vorwiegend inneren
Erlebnisses. Der heimliche, nicht immer offen aner
kannte Vater dieser Bewegung ist Edvard Munch. Als
Vorläufer hat er vor zwei Jahrzehnten schon Dinge ge-
Fig. 11. Munch, Das kranke Kind.
geben, die damals fast ganz unverstanden blieben,
heute aber, angesichts der veränderten Situation fast
selbstverständlich, sicher aber irn Rahmen ihrer Be
wegung, meisterhaft wirken. Wenn man diesen Tat
sachen vielleicht angesichts der Gemälde Munchs
nicht immer gleich gerecht ward, wenn in ihnen oft ein
Rest von Gedanklichem nicht überwunden ist, in seiner
Graphik hat man diese Kunst in ihrer ganzen Rein-
heit, seine graphischen Arbeiten enthalten ihr Wesent
lichstes, und so gewinnt heute eine umfassende Aus
stellung von Munchs graphischem Oeuvre dokumentari
sche Bedeutung.
Seine Stärke liegt auf der Darstellung des Seeli
schen und des Dramatischen. Er empfindet vollkommen
modern, als das echte Kind unserer Zeit, das er ist.
Aufrichtig bis zum letzten hat er keine Angst vor dem
modernen Leben. Er sucht das Dramatische dort, wo
es heute allein, wenn überhaupt zu finden ist, im Alltag,
im Sterben und Geborenwerden der Menschen, und
findet die Leidenschaft da, wo allein sic in ihrer edelsten
und zugleich erschütterndsten Form fühlbar wird, in der
Liebe von Mann zu Weib, von Weib zu Mann. Unsere
Tragödien gehen nicht mehr auf dem Sehlachtfelde vor
sich, da sieht sie niemand, sondern in den vier Wänden
unserer Zimmer, wenn ein geliebter Mensch stirbt und
alle stehen hilflos und gebrochen und verlegen dabei
herum, wenn eine Mutter trostlos zusammenbricht vor
einem schönen kranken Kinde (Fig. 11), oder wenn zwei
Menschen sich in hoffnungsloser Loslösung voneinander
trennen, oder wenn ein verführtes Mädchen mit zer
schlagenen Gliedern erwacht und sieht nichts als die
leeren Flaschen und Gläser auf dem Tisch neben ihrem
Bett, mit deren Hilfe sie berauscht wurde. Soweit der
Alltag. Dann aber steigert sich das Erlebnis zum Sym
bolischen. Die »Zwei Menschen« (Fig. 12), die da am
Meeresstrande stehen und von denen wir die Gesichter
nicht sehen, sondern nur ahnen, sind kraft der Kunst
der Darstellung nicht zw r ei beliebige Menschen, sondern
Typen, das weiße Kleid des geliebten und liebenden
Mädchens schimmert weiß und der Mann sieht dunkel
daneben und hat ihr nichts zu sagen. Und das Blatt
»Das Weib in drei Stadien« enthält die ganze Schicksals-
Fig. 12. Munch. Zwei Menschen.
tragödie der liebenden Frau, das zarte schwärmende
Mädchen, die Venus und die im Kummer Verlassene.
In dieser Kunst Munchs steckt ein starker sozialer
Kern, wie so oft bei unseren größten Graphikern, bei
Goya, Daumier und Klinger. Er erzählt nicht einfach,
er gibt nicht nur einfach Anschauung, sondern er gibt
ein Urteil, ein Resume, er gibt die »Moral« von der Ge
schichte, den tieferen Kern und den geheimnisvollen
Sinn. Oft ist er pessimistisch, oft skeptisch, manchmal
ironisch; aber immer voll von Mitempfindung für seinen
Gegenstand und immer voll von Gefühl. Mau
sehe den Farhenholzschnitt »Männlicher und weiblicher
Kopf« und frage sich, ob es etwas Romantischeres gibt
als diese beiden Wesen, die da von wildester Leiden
schaft und feinstem zartesten Gefühl durchschauert
werden; man denke an Courbets »Amants dans la Cam
pagne« und wird finden, daß hier ein verwandtes mäch
tiges Gefühl am Werke war. Vor dem »Weib mit
schwarzem Haar und Brosche« fühlt man das Zittern
der Seele in diesem feinen Geschöpf und angesichts des
»Mädchens mit rotem Haar« mit dem geheimnisvollen
Blick (Fig. 13), ahnt man das Rätsel einer Mädchen
seele. Es gibt keine Kunst heute, die seelischer wäre als
diese.
Um dergleichen schaffen zu können, muß man eine
schlafwandelnde Sicherheit des Gestaltens besitzen,
sonst stürzt man ab und erwacht auf dem Ackerfelde
des schlimmsten Dilettantismus. Vom Standpunkte des
Könnens aus betrachtet ist Munch ein stupender Herr
scher über seine Mittel. Nicht nur, daß er heute zu den
allerbesten Zeichnern gehört, d. h. zu denen, die mit