MAK
Seite 316 
Internationale Sammler -Zeitung. 
I' 21 
Aus den Geheimnissen der Makulatur. 
Von Paul Tausig (Wien). 
In unterirdischen Kellergewölben, in versteckten 
Winkeln des älteren und ganz alten Wien, mag man bei 
den Händlern von altem Papier, makulierten Büchern, 
vergilbten Zcitungsstößcn umherwandern, wenn man 
einmal die »Friedhöfe der Literatur« besuchen will. Staub, 
Moder und Stickluft darf man freilich dabei nicht 
scheuen, doch der Bücherwurm windet sich leichten 
Herzens durch solche Hemmnisse auf seiner Ent 
deckungsreise, wenn er nur auch Belohnung für seine 
Razzia findet. »Im tiefen Keller sitz’ ich hier und stöbere 
im Stampfpapier« — so kann der Don Juan alter Schar 
teken singen, um sich beim Forschen nach bedruckten 
Schätzen einigermaßen zu trösten. Es muß eigentlich 
wundernehmen, daß über diese Makulaturhandlungen 
noch nirgends geschrieben wurde, denn man fördert 
dort oft reizvollere und seltenere Funde zutage, als in 
der Makulatur gesunken sind, dann mag man schon ein 
Blättchen oder ein Büchlein erwischen, das durch seine 
Rarität erfreut, oder gar auch Manuskripte zu Gesicht be 
kommen, die von großem Werte sind. 
Zufall! Mit diesem Begleiter muß man ausgerüstet 
sein. Wenn ich an diese Zufälle bei meinen Funden denke, 
so fällt mir ein, daß ich einstmals unter einem ganzen 
Berge — »es sind sechs Zentner«, sagte der papierene 
Makulatur-Cerberus — eine Erstausgabe der »Räuber« 
fand; wie sanft: sah mich der »In tyrannos« benannte 
Löwe auf dem Titelblatte des ausgezeichnet erhaltenen 
Buches an! Das also ist die Reise von der Mannheimer 
Intendantur hinab zum Orkus, dachte ich mir und legte 
das Bändchen ruhig beiseite. Denn: Wiewohl ja die 
Makulaturhändlcr ihre geistige Ware, die sic verzapfen, 
per Kilo verkaufen, und für ein solches Kilo, ob nun 
Fig. 2. Waldmüller: Nikolo. 
»wohlassortierten« Lagern der Buchhandlungen und Anti 
quariate. Und von meinen Streifzügen, die ich nun schon 
an die zehn Jahre in diesen Schlupfhöhlen für Biblio 
phile unternehme, und von den Ueberraschungcti, die 
mir zuteil wurden, will ich nun einiges erzählen. 
Rings um den Stephansturm sind so einige alte 
»bouquiniers«, wie sie die Pariser nennen, bei denen ich 
Stammgast bin. Man steigt da eine steile und beschwer 
liche Treppe anderthalb Stock tief unter die Erde und 
das Tageslicht findet man unten durch eine Petroleum 
lampe von anno Olim ersetzt. Meterhohe Stöße von 
alten Zeitungen, die man einst auch schon vor dem Abend 
gelobt hatte, weißes, buntes, dünnes, dickes, zu Streifen 
zerschnittenes oder in Bogen gefalztes Papier erfüllt den 
hohen gewölbten Raum, der vielleicht einmal ein Wein 
keller eines Prälaten zu St. Stephan war. Nun muß man, 
wie bei allen Entdeckungsreisen im Leben, glückliche 
Tage haben. Oft und oft mag man da in diesen Hades 
hinabsteigen und mit leeren, aber geschwärzten Händen 
den Rückzug antreten. Dann aber wieder, wenn etwa 
buchhändlerisch nicht gewiegte Praktikanten das Waren 
lager ihrer Herren makulierten, oder wenn von einem 
alten Dachboden Urväter Hausrat (Stiche, Bilder, Bücher, 
Broschüren, Zeitungsblättcr, Noten, Hefte) in die Tiefen 
Schiller oder Kotzebue, ob nun Beethoven 
oder Hans Jörgei, so zwischen 10 und 30 Heller 
rechnen, so muß man als gewiegter Käufer dennoch 
indiandergleich jede freudige Bewegung bei einem Funde 
nicht auf seinem Antlitze widerspicgcln lassen, sondern 
gelassen und gemächlich sich des glücklichen Griffes 
freuen. Jauchzt man auf, wenn man, wie ich es. in meiner 
unerfahrenen Anfängerzeit einmal bei einer Erstausgabe 
von Lessings »Nathan« tat, auf einen Schatz stößt, 
so wird der Händler gewöhnlich argwöhnisch und gibt 
den Fund nur unter sehr schweren Bedingungen her. 
Einstmals sah ich in jenem »verfluchten dumpfen 
Mauerloch« ein engbeschriebenes Heft vor mir liegen, 
blätterte darin und dachte mir, das könne kein unbe 
deutender Mensch geschrieben haben, denn die Schrift 
züge w r aren nicht alltägliche. Ich schlug das Heft um und 
las auf der ersten Seite: »Ueber Rittertum und Minnege 
sang« von Robert Hamerling, 1852. Ich hatte eine 
niemals gedruckte und bisher unbekannte Jugendarbeit 
des Dichters vor mir, die ich natürlich um zwanzig Heller 
(ein Ausnahmspreis, was seine Höhe betrifft) kaufte und 
dann in Buchform herausgab. Ein anderes Mal stieß ich 
auf zwei dicke Bände, die Notenmanuskripte enthielten. 
Es war eine geniale Schrift, schwungvoll und sicher, nicht
	        
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