Internationale
Sammfer^eifung
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
6. Jahrgang. Wien, 15. Mai 1914. Nr. 10.
William Morris
und die Wiederbelebung der dekorativen Kunst.
Von Amelia S. Levetus (Wien).
(Schluß.*)
Die Tragödie von Tristan und Isolde bildete das Motiv
zu einer herrlichen, von Morris &. Co. ausgeführten
Glasmalerei, die unter dem Namen eines »Tristan und
lsolden-Fensters« Berühmtheit errang.
In der Herstellung von Glasmalereien hat die Firma
ihre hervorragende Stellung, die sie bis zum heutigen
Tage bewahrt, in der Hauptsache wiederum William
Morris zu verdanken. Es war seine besondere Gabe, jedes
ihn gerade 'beschäftigende Gebiet bis ins kleinste Detail
zu erforschen und sich zu eigen zu machen, und auf diese
Weise beherrschte er auch mit Vollkommenheit vom An
fang bis zum Ende sämtliche Prozesse, die zur Herstel
lung von Glasmalereien erforderlich sind. Stammten die
Entwürfe auch nicht immer von ihm, so war er es doch
stets, der an diese Zeichnungen die letzte Hand legte, der
das Glas auswählte und die verschiedenen Prozeduren
beaufsichtigte, bis schließlich die Glasmalerei in ihrer
ganzen Pracht vollendet war.
Zunächst gingen dann die Künstler an die Herstellung
von Kacheln, ein Arbeitszweig, der aber später yon
ihnen aufgegeben und zur Gänze William de Morgan
übergeben wurde.
Noch als die Firma mit der Herstellung von Glas
malereien beschäftigt war, hatte sie schon begonnen, an
Entwürfen für Tapeten zu arbeiten. Was William
Morris auf diesem Gebiete leistete, hätte schon allein ge
nügt, ihm einen ersten Platz unter den modernen dekora
tiven Künstlern zu sichern. Da die allgemein gebräuch
lichen Tapeten jener Zeit von einer ganz besonderen Ge
schmacklosigkeit waren, verursachten die künstlerischen
Entwürfe der Firma eine wahre Revolution, die sich von
den vornehmsten Wohnstätten bis in 'das Heim des ein
fachsten Arbeiters erstreckte. Morris bewies auch hier
seine Meisterschaft, nicht nur im Zeichnen der Entwürfe,
sondern auch in der Auswahl der Farben und in deren
Zusammenstellung, bei der ihm sein künstlerisch ge
schultes Auge sehr zugute kam.
Nachdem die Herstellung der Glasmalereien und die
der Tapeten wohl im Gange war, wandte Morris seine
Aufmerksamkeit der Weberei zu. Vor allem suchte
er die Kunst des vegetabilischen Färbens, die damals in
* Siehe Nr. 9 vom 1. Mai d. J.
England verloren gegangen war, zu erlernen, und da er
von den Bauern Oesterreich-Ungarns und der östlichen
Länder Europas, welche diese Art des Färbens seit
langem übten, nichts wußte — beginnt man doch in Eng
land erst in unseren Tagen, sich für diese Völker, ihre
Lebensweise und ihre Volkskunst zu interessieren — so
ging er zu diesem Zwecke nach dem fernen Osten, nach
Indien, dem Lande der tiefen, satten Farben. Er lernte
alles Wissenswerte, und als er imstande war, seine
Fäden in den von ihm gewünschten Farben selbst zu
färben, begann er mit dem Weben. Auch diese Kunst
machte er sich erst selbst gründlich zu eigen, ehe
er sie in die Hände seiner Handwerker übergehen ließ.
Erst Ende der Siebzigerjahre konnte er die Sache in An
griff nehmen, so lange hatte es gedauert, bis er sich einen
alten Webstuhl verschafft hatte, der seinen Anforde
rungen entsprach. Aber schon im Jahre 1884 war er als
Weber und als Zeichner von textilen Entwürfen so be
rühmt, daß man ihn aufforderte, an der in diesem Jahre
in London abgehaltenen hygienischen Ausstellung eine
Vorlesung über Weberei und Gewebe zu halten. In dieser
Vorlesung, die später als offizielles Handbuch veröffent
licht wurde, führt er unter anderem aus, daß die Ent
würfe »für textile Produkte, ebenso wie jene für Töpfer
und Glaswaren, Teppiche u. s. w. der jeweiligen Her
stellungsart, also hier dem elementaren Prozeß des
Webcns, der in der Kreuzung einer Art Fäden über eine
andere Art besteht, angepaßt sein müssen«.
Die Weberei der Firma Miorris & Co. befand sich
ursprünglich in ihrem Geschäftshause in Queens .Square
und iibersiedelte später nach Mer ton Abbey bei
London, wo sie noch heute besteht.
Vom Weben zum Sticken war nur ein Schritt,
den Morris dank seinem künstlerischen Genie mit
Leichtigkeit ausführte. Er entwarf Stickereien und
brachte cs dazu, daß alle ihm befreundeten Mädchen und
Frauen ihm bei der Ausführung behilflich waren. Es ge
lang ihm so auch, das einst so starke Interesse der Eng
länderinnen für Stickereien w'ieder zu erwecken und die
nichtssagenden gewöhnlichen Häkelarbeiten, bei denen
eine große Anzähl Frauen ihre Mußestunden zubrachten
die irische Häkelspitzenkunst war damals nahezu un
bekannt, höchstens von irischen Nonnen und einigen