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Internationale Sammler-Zeitung 
Nr. 6 
Die Kunstbeute in den napoleonischen Kriegen. 
Von Franz Rieffel (Frankfurt). 
In den ersten Kriegsmonaten hat eine Kunstzeit 
schrift die „kühne Anregung“ gebracht, zur Deckung 
der Kriegsentschädigung Kunstwerke aus den feind 
lichen Staaten, zunächst ausBelgien, zu eigen zu nehmen. 
Es war wohl damals und ist auch jetzt noch ein bißchen 
früh zu solchen Erörterungen. Unter keinen Umständen 
dürfte eine Aneignung außerstaatliches Gut, städtisches, 
kirchliches oder anderes Eigentum ergreifen. Der Krieg 
räumt allerdings mit unseren völkerrechtlichen An 
schauungen merkwürdig auf. Grundsätze, die als uner 
schütterlich gelten, z. B. gerade der von der Unantast 
barkeit des feindlichen Privateigentums im Krieg zer 
stäuben. Aber irgendwo muß doch das von England 
eingeführte internationale Piratenrecht seine Grenze 
finden. 
Napoleon war von der Blässe völkerrechtlicher 
Überlegungen wenig angekränkelt. Er nahm das Gute, 
wo er es fand, im eigenen und im Feindesland. Während 
wir in Belgien eine Kommission für die Erhaltung der 
Kunstdenkmäler eingerichtet haben, also wirklich den 
Krieg fast-wie eine ordnungsmäßige Funktion der Denk 
malpflege betreiben — was unsere Feinde auch freilich 
als etwas Selbstverständliches von uns beanspruchen; 
siehe Löwen und Reims —- hatte er eine Behörde zur 
Sichtung, Auswahl und Verteilung der in Frankreich 
und im Ausland konfiszierten Kunstwerke eingesetzt. 
Unter dem Vorsitz des Barons Vivant-Denon wurde 
in Paris alles erbeutete Kunstgut in Gruppen zerlegt; 
eine davon war für das Musee Napoleon bestimmt, die 
andere zur Abgabe an die Museen von fünfzehn De 
partementshauptstädten . 
Wenigstens in einem Fall hat schließlich Deutsch 
land Nutzen aus dieser Beuteverteilung gezogen. Eine 
der bedachten Städte war nämlich Mainz als Haupt 
stadt des Departements Donnersberg und mit der 
Überweisung des für Mainz bestimmten Loses von 35, 
zum Teil recht umfangreichen und fast durchgängig 
sehr wertvollen Bildern ist in der Tat die Mainzer 
Städtische Galerie ins Leben getreten. Es befinden sich 
darunter Gemälde aus französischen Kirchen und 
Klöstern (so aus Port Royal in Paris ein mächtiges Bild 
mit dem hl. Bruno in der bergigen Landschaft der 
Chartreuse; von Champagne und Le Sueur), aus ehemals 
königlich französischem Besitz (eine vorzügliche frühe 
Madonna des Lorenzo di Credi), aus belgischem Kloster 
gut (namentlich ein Hauptwerk des Jordaens, Christus 
im Tempel). Aus ehemals nürnbergischem Besitz stammt 
vermutlich (wenn auch nicht nachweislich) die vortreff 
liche alte Kopie nach Dürers Adam und Eva in Madrid. 
Nebenbei gesagt, die Fachwissenschaft hat sich bisher 
viel zu selten mit der durchaus nicht unwichtigen 
Mainzer Galerie befaßt. Die Sammlung kann augen 
blicklich aus Raummangel nur zu einem Teil gezeigt 
werden und ist unter den Städtischen Sammlungen 
von jeher das Stiefkind gewesen; im.Gegensatz zu der 
angesehenen und allerdings ausgezeichnet geleiteten 
Stadtbibliothek. Sie erfreute sich nie eines eigenen fach 
männischen Vorstandes, sondern wurde immer nur im 
Nebenamt etwa von Malern, Gcmälderestauratoren, 
Philologen, Bibliothekaren, Archäologen verwaltet. Zur 
zeit hat sich ein verdienter Kenner und Bearbeiter der 
Mainzer Topographie und lokalen Kunstgeschichte 
bereit finden lassen, sich um sie zu kümmern. Es be 
steht die Absicht, nach Beendigung des gegenwärtigen 
Interims ihr ein den Ansprüchen einer Galerie genügendes 
Gebäude zu widmen und sie einem fachmännischen 
Vorstand, einem museumstechnisch tüchtig ausge 
bildeten, erfahrenen jüngeren Kunsthistoriker anzu 
vertrauen, der auch den dringend notwendigen wissen 
schaftlichen Katalog zu verfassen hätte. Es wäre, 
scheint mir, ein begehrenswerter Posten für eine frische 
und mutige Kraft, die sich aber ganz einsetzen müßte, 
um mit der Galerie die städtische, sowie die private 
Mainzer Kunst pflege neu zu gestalten. 
Die napoleonische Kunstbeute war über alle 
Vorstellung groß. Von 1798 bis 1814 sind siebzehn 
amtliche Zuwachskataloge des „Musee Napoleon“ er 
schienen, die wohl fast alle — ein Teil auch eingestande 
nermaßen •— erbeutete Kunstwerke betreffen. 
Einer davon liegt mir vor. Er umfaßt die von der 
Großen Armee in den Jahren 1806 und 1807 gemachten 
Kunst er Werbungen. Sie sind am 14. Oktober 1807, als 
dem ersten Jahrestag der Schlacht bei Jena, zum ersten 
mal im „Musee Napoleon“ ausgestellt worden. Der Ka 
talog zählt „Statuen, Büsten, Reliefs, Bronzen und 
andere Antiquitäten" auf, ferner Gemälde, Zeichnungen 
und Kuriositäten und bringt cs auf die, für bescheidene 
zwei Beutejahre alles Beifalls würdige Zahl von 710 
Nummern. Oft verbirgt sich unter einer Nummer ein 
ganzer Block, so unter Nr. 708 eine Sammlung von 
1200 (zwölfhundert) italienischen Majoliken und Fay 
encen, unter Nr. 709 eine Sammlung von Limousiner 
Emails. Einen besonders interessanten Teil bilden die 
Gemälde (fast 400) und Zeichnungen. Dem Schau 
platz der beiden Kriegsjahre entsprechend rührt die 
Beute im wesentlichen aus Deutschland her. Als 
die bestohlenen Sammlungen sind Kassel und Braun 
schweig, aber auch Berlin öfter zu erkennen. Viele 
Bilder sind nach Napoleons Sturz wieder zurückge 
wandert, einige aber, wahrscheinlich die aus privaten 
Sammlungen lassen sich noch im Louvre nachweisen; 
zum Beispiel von Bol das Bildnis eines Mannes, 1659 
datiert und der unten genannte Cr an ach. Eine sorg 
fältigere Durcharbeitung des Katalogs würde manche 
Aufschlüsse über die Wanderungen der Kunstwerke 
geben. Natürlich darf man nicht alle seine großen Namen 
ernst nehmen. 
Sofort zu erkennen sind die jetzt wieder in Berlin 
befindlichen Bilder des Correggio „Leda“ sowie 
„Jupiter bei Jo“ (alte Kopie, wie auch der Katalog 
weiß). Von Cranach werden 20 Bilder hergezählt, 
darunter die Predigt Johannes des Täufers (vom jünge 
ren Cranach), „.Herkules und Omphale“ von 1537, 
„Venus und Amor", „Adam und Eva“ (alle wieder in 
Braunschweig), der „Jungbrunnen“ (Berlin?). Dem 
Louvre ist mindestens ein Bild verblieben, das Bildnis 
des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen von 1532. 
Von Dürer vier Nummern, die ich nach der bloßen 
Angabe des Gegenstandes im Katalog nicht aus dem 
Kopf identifizieren kann. Fünf Van Dyck (zum Teil 
wieder in Kassel und in Braunschweig). Ein Van Eyck 
(?? „Jüngstes Gericht“). Ein „Giorgione“ (richtig: 
Palma Vecchio, „Adam und Eva“; jetzt wieder in 
Braunschweig). Fünf Holbein, fünf Jordaens (Braun 
schweig und Kassel), vier Metsu, fünf Potter (die 
beiühmte „Vacche qui pisse“ ist nicht dabei; die hatte 
sich die Kaiserin Josephine gleich gesichert und so ist 
sie von den „Revindikationen“ nach Napoleons Sturz 
ausgenommen worden und dem Kaiser von Rußland, 
der sie der Kaiserin .abgekauft hatte, für seine Eremitage 
verblieben). Vier Nicolas Poüssin, achtzehn Rem-
	        
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