Internationale
Sammler-Zeit iinfl
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
15. Jahrgang. Wien, 15. Mai 1923. Nr. 10.
^Jilie Seßetßücßer.
Kulturgeschichtliche Studie vom Hof rate Pachinger, Linz.
Noch vor wenigen Dezennien spielte ein gutes
Gebetbuch in schöner Ausstattung auch in der Familie
des Großstädters eine ganz andere Rolle, wie heute.
Wer da seinem Firmling ein hübsch gebundenes Ge
betbuch als Andenken schenkte, hob damit eine große
Ehre auf. Setzte es der Handwerksbursche auch nicht
allzusehr in Kontribution auf seiner Wanderschaft, fehlte
es doch nie im Tornister oder Zwerchsack, und an
hohen Feiertagen hielt man es nicht ohne Stolz gelegent
lich des Kirchganges dem Meister unter die Nase. Roch
man aber beim Wandern, an einem Pfarrhof vorbei
gehend, würzigen Bratenduft und steuerte dort der Kirche
zu, so konnte der wie zufällig durch eine Lücke schim
mernde Goldschnitt des Bändchens Wunder wirken,
nicht nur bei der Küchenregentin, sondern auch beim
Pfarrherrn. Dies wußten übrigens auch alle Studentlein
und ließen deshalb diesen Talisman bei den Ferien
wanderungen gern aus der Joppentasche lugen. Wie
gravitätisch trug aber erst 50 ein Dirndlein das in Samt
gebundene, am Ende gar mit einer glänzenden Silber
schließe und Eckbeschlägen verzierte „Betbuch“ am
Sonntag zur Kirche.
Wie so vieles ist auch das jetzt leider anders ge
worden. Die Großstadtrange nennt einen Paten, der
nicht mindestens auch Uhr und Kette spendiert, einen
„Schmutzian“. — Gebetbuch! Der liebe Gott soll zu
frieden sein, wenn man ein paar „Vaterunser“ hersagt,
na, und die kann man doch noch auswendig. —
Das Gebetbuch dankt seine Entstehung zweifellos
den Klöstern, die im vierten Jahrhundert vom Oriente
her rasch Ausbreitung und Stellung im Westen fanden.
Die schreibekundigen Mönche sammelten einzelne litur
gische Responsorien, wählten unter den Psalmen Davids
das ihnen Passende, namentlich die sieben Bußpsalmen
aus, schrieben es säuberlich auf Pergament, fügten noch
schöne Miniaturmalereien, Randleisten und Ornamente
sowie einen klosterüblichen Einband hinzu und schenkten
das Ganze irgend einer fürstlichen Persönlichkeit, einem
Wohltäter des Klosters oder einem verehrten Abte.
Hatte die ostchristliche Kirche ihre prachtvollen
Evangelarien, Missales, Breviere usw., so folgte die
westchristliche erst im achten Jahrhundert, jedoch ganz
im Geiste ihrer Vorgängerin. Das Evangeliar, das ein
gewisser Gödeschalk um 780 für Kaiser Karl den
Großen und seine Gemahlin Hildegardis anfertigte, ist
ein Werk von höchster Pracht. Auf purpurfarbigem Per
gamente mit Gold und Silber geschrieben, zeigt es in
seiner Ornamentierung sowohl, wie in den Initialen und
den Figuren starke Emanzipation von der byzantinischen
Stilisierung und kehrt ungleich mehr den nordisch
skandinavischen Charakter heraus. Andere, wie z. B.
das Evangeliar des heiligen Medardus von Soissons,
greift mit Geschmack auf antike Architektur- und Orna
mentformen zurück.
Die Pariser Bibliothek enthält auf diesem Gebiete
ganz einzige Schätze. Dank den Bestrebungen Alkuins,
des Rates Karls des Großen, der drei Schulen für die
Buchillustration ins Leben gerufen hatte, die von Tours,
Metz und Reims, von denen die zu Reims ersichtlich
am meisten germanischen Ornamenten zuneigte, wäh
rend Tours die Antiken bevorzugte. Das Hauptwerk der
Schule von Tours ist die Bibel Karls des Kahlen, die
ihm 850 von dem Abte von St. Martin, Grafen von
Vivianus, überreicht wurde.
Eine andere herrliche Arbeit dieser Art ist das
Psalterium des Klerikers Luithard (Paris), der dann
mit seinem Kollegen Berengar das goldene Evangeliar
von St. Emeran schuf, das nun die Münchener Staats
bibliothek besitzt. Ein Werk solcher Art ist die Karo
lingerbibel von St. Paoli Fuori bei Rom, wahrscheinlich
um 880 für Karl den Dicken hergestellt.
Später dann übernahmen deutsche Künstler im
Mönchshabit die Führung auf dem Gebiete. Die Aebte
von St. Gallen werden deren Förderer. Um 870 ent
stehen dort im Aufträge des Abtes Hartmuot durch
den Bruder Folchard zwei Psalterien von auserlesener
Pracht.
Jetzt aber tritt eine merkwürdige Erscheinung zu
Tage. Je mehr die Künstler sich mühen, fremdem Ein
fluß zu entgehen, gleichsam volkstümlicher zu werden,
desto unbeholfener zeigen sie sich in der Zeichnung,
dafür sind die Bilder der um 815 entstandenen Hand
schrift des Wessobrunergebetes der Münchener Biblio
thek ebenso ein Beweis, wie die einer Handschrift des
Heliant Gottfried von Weißenburg in der Wiener
Nationalbibliothek.
In der nun einsetzenden frühromanischen Periode
beginnt die Plastik die Oberhand über die Malerei zu
gewinnen. Die Elfenbeinschnitzerei entwickelt sich, sie
gibt dem Buchdeckel, in dem sie, umrahmt von kost
baren Goldschmiedearbeiten, die mit Edel- und Halb
edelsteinen förmlich übersät erscheint, eingelassen ist,