Flugblätter für Gemäldekunde
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Wolter, die große Tragödin, ist allein in etwa 500
Rollenbildern, desgleichen die Damen Grobecker,
Gallmeyer und Geistinger in selbständig zurecht
gerichteten Sammelalbums vorzufinden.
Besonders hervorheben mödite ich eine un
scheinbare aus dem Jahre 1856 stammende Ori-
ginalphotographie in Visitformat, darauf sämtliche
Teilnehmer des Pariser Kongresses (Graf Walewski,
Cavour, Benedetti, Hli-Pascha, Baron Manteuffel
usw.) in lebensgetreuer Ungezwungenheit haar
scharf wiedergegeben sind. Vor geraumer Zeit stö
berte ich dieses Bildchen in einer Vorstadttrödlerei
auf. Es steckte mitten unter allerlei belanglosen
Familienbildnissen in einem verstaubten fllbum
aus den 1850er Jahren, das vielleidit als Draufgabe
zu käuflich erstandenen Fahrnissen den Weg in
die Trödlerbude gefunden hatte. Erst nachträglidh
vermochte ich durch eigene Forschung und Nach
frage bei Wissenden allmählich die Identität der
einzelnen Personen testzustellen. So kam endlich
zutage, daß die vielen in schlichtes Zivil geklei
deten Herren auf dem Bilde, die man eher für
Kleinkaufleute oder für Teilnehmer irgend eines
gleichgültigen Kollegentages in der Provinz hätte
halten können, nichts Geringeres vorstellen, als die
berühmten Diplomaten, aus deren Zusammenschluß
sich Kern und Wesen des Pariser Kongresses vom
Jahre 1856 ergab, durch den der Krimkrieg sein
Ende fand. Das reizende kleine Gruppenbild, mit
dem FL v. Werners theatralisdies Gemälde „Der
Berliner Kongreß im Jahre 1878“ sich nicht in
Vergleich stellen läßt, zumindest, was die unge*
zwungene Gruppierung der Kongreßteilnehmer an
langt, wurde bei Meyer und Pierson, „Photogra-
phes de S. M. de l’Empereur Boulevard des Capu-
cines Paris“ — wie am Kartonrande zu lesen —
nach der Natur aufgenommen.
So bietet die Beschäftigung mit alten photo
graphischen Bildnissen Belehrendes und Unter
haltsames die schwere Menge. Einst allgemein
verbreitet und um lächerlich niedere Preise er
werbbar, sind heute die alten Photoporträte in
Visit- und Kabinettformat, auf denen berühmte
Menschen verewigt wurden, nicht allzuhäufig auf
zutreiben und auch recht kostspielig geworden.
Nicht unerwähnt kann ich es hier lassen, 1
dass mir aus weitesten Kreisen des verehrlichen
Publikums alte Photographien als Beiträge zu
meiner Sammlung seit Jahren zukommen, wofür
ich meinen Dank dadurch abstatte, dass ich sie
getreu und pietätvoll mit Daten versehe, katalo
gisiere und sie sodann in die entsprechenden
Faszikelbände einreihe, oder in entsprechende
Kartone - kleine Ehrengräber-versenke. Möchten
doch die vielen berühmten Menschen alldort ihren
Nachruhm gemessen, der-wenn es nach meinem
Herzen ginge — viel viel länger währen müsste,
als jener des jüngst ans Tageslicht geschürften
Königs Tuthankamen.
Zu 3{. de Zode.
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Im Inventar des Erzherzogs Leopold jWilhelm der „Hof“ der „großen Türken“ zu sehen war. Nach
von 1659 wird sehr ausführlich eine Ansicht von Kon- den alten Abmessungen haben wir uns ein großes Breit-
stantinopel beschrieben, auf der auch die „Burg“ oder bild vorzustellen, dessen Signatur als „H. de Jode“ an-
Fig. 2: H. de Jode, Landschaft.