Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde,
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
16. Jahrgang. 1. Oktober 1924. Nr. 19.
c Die Sammfung eines süddeutschen SKunstfreundes.
A m s 1 e r und Ruthardt in Berlin erscheinen
auf dem Kunstmarkt mit der erlesenen Hand
zeichnungssammlung eines süddeutschen Kunstfreundes.
Der Hauptwert derselben liegt in der Vollständigkeit
der deutschen Meister des 19. und 20. Jahrhunderts,
die in allen Stilepochen durch typische Stücke ersten
Ranges vertreten sind.
Dem Katalog, der der Sammlung würdig ausgestattet
ist — nicht weniger als 64 Bildtafeln, darunter zwei
farbige bilden seinen Schmuck — hat W. K u r t h ein
Vorwort beigegeben, daß das Wesen derHandzeichnungen
trefflich charakterisiert. „Zeichnungen", schreibt er, sind
Briefe der Künstler. Als ungehemmte Niederschriften sind
beide Aeußerungen jener letzten Bestimmung alter Kunst:
des Persönlichen. Wie Vertraute dürfen wir ihren Selbst
gesprächen lauschen, ihren Eingebungen nacheilen. Im
18. Jahrhundert, dem großen der Briefliteratur, griff der
literarische Liebhaber lebhaft nach dieser neuen Gattung
und traf sich mit dem Zeichnungssammler in gleichen
Interessen. Auch die Zeichnung ward Lektüre, früher
Genuß. Eine Art wohltuende Entspannung mag der
literarische, wie der künstlerische Liebhaber beim Genuß
dieser beiden Kunstformen empfunden haben. Wie der
Brief neben das enzyklopädische Werk der Aufklärer
zeit, so trat die Zeichnung in Stellung zur akademischen
Raison. Die sinnliche Vermittelbarkeit und temperament
volle Gefühlskraft, welche dem Brief, wie der Zeichnung
eigen sind, löste die gestraffte Vorstellung des Kunst
werks als Stil und ließ sie in dem freieren Gegenwarts
gefühl des Schöpferischen sich ausbreiten, ln der
Zeichnung tritt der Künstler vor das Werk, steht über
aller Form das Persönliche. Wie eine geistige Essenz
liegt das Wesen des Oeuvre in den Zeichnungen vor
uns. Die geringste Aeußerung ist hier stets ein Ganzes,
weil in welcher Abbreviatur die Zeichnung auch er
scheinen mag, sie doch immer ein Fertiges ist, getragen
durch die Originalität der Handschrift, die dem Gemälde
nie in gleicher Weise eigen sein kann. Nichts anderes
kann diese Handschrift sein, als persönliche Qualität,
deren suggestive künstlerische Kraft Goethe empfand,
wenn er in einem Brief an Rochlitz (1815) sagt, daß
bei Gemälden, noch mehr bei Zeichnungen alles auf
Originalität ankommt: „Ich verstehe hier unter Originalität
nicht, daß das Werk gerade von dem Meister sei,
sondern daß es ursprünglich so geistreich sei, um die
Ehre, eines berühmten Namens allenfalls zu verdienen.“
So geht mit der bedeutenden Verfeinerung des nach
empfindenden Aufnehmens ein psychologisches Ver
ständnis mit dem Schaffensprozeß zusammen, welches
die Sammler des 19. Jahrhunderts in ein umfassenderes
Interesse hineintrieb und gleich den Zeichnungspubli
kationen der Kunstgeschichte die Deutung des Still
willens in die Handschrift vom Persönlichen einbezog.
Vom Allgemeinen zum Besonderen übergehend,
weist Kurth hin, daß die zur Auflösung gelangende
Sammlung den beiden großen Sammlungen Flinsch und
Mayer als Qualität der persönlichen Handschriften eben
bürtig, an Interesse für alle Stiläußerungen des 19.
Jahrhunderts aber bei weitem umfassender und über
legener ist. Er fährt sodann fort: Wie aus der säuber
lich handwerklichen Sepiamanier des ausgehenden
18. Jahrhunderts, die in H ackert und Zingg ver-
vertreten ist, sich die graphische Freiheit und Selbst
ständigkeit der Zeichnung erhebt, zeigt die große
Sammlung von Chodowiecki - Zeichnungen (70
Nummern), in der besonders neben den Bleistiftstudien
zu Radierungen der Männerkopf in schwarzer Kreide
auffällt. Zu der vorwärtsweisenden Knappheit dieser
freien Anschauung, die ein Zeichen der Berliner Schule
bis auf Liebermann bleiben sollte, steht die flüssigere,
von Malwerk geleitete Kreidetechnik Graffs. Be
sonders aber kann die Kenntnis der Zeichnungen der
Nazarener, wie z. B. Overbeck u. Schnorr
von Carolsfeld das allgemeine Urteil über diese
Schule aufhellen. Die scharfe, kühle Intelligenz eines
Cornelius erzwingt in den stahlartigen Spannungen
eine graphische Linie, mit der seine künstlerischen
Energien die Form zu vergeistigen strebt. Diese Klärung
ist der schönen Zeichnung Veits vom Jahre 1822
sowie den Studien 0 1 i v i e r s eigen, deren feine
Strichführung den berühmten Federlithographien von
Salzburg nahesteht. Die religiöse Einstellung brachte
dieser Schule auch eine neue handwerkliche Gesinnung,
die in der sauberen Linie und klaren Modellierung
zum Ausdruck kommt. Vor der Landschaft fand diese
hohe Abstraktion der Linie nicht genügend geistige
Spannung und räumte dem lavierendem Pinsel und
der Kreide das Recht der dekorativen Zusammenfassung
ein. An 'den schönen, großen Blättern der Koch,
Reinhart, Preller und D r e b e r ist die Auf
lockerung Schritt für Schritt zu beobachten, bis die
Stunde frei ist, wo der reine Sepiapinsel, wie in
B 1 e c h e n ’s „Waldfee“ und Rottmanns Aquarellen
herrschen kann. Für die selbständige Zeichnungs-