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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde, 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
18. Jahrgang. Wien, 1. Juli 1926. Nr. 13. 
‘Internationafe IKunstaussteffung in ‘Venedig. 
Von Tr. SRrtur Stleisser, ‘Venedig. 
Hs gehörte für mich von jeher ein gewisser 
psychologischer Mut dazu, aus einer großen Kunst 
ausstellung „das Wichtigste“ hervorzuheben, wie es 
seit Jahrzehnten Zeitungsbrauch ist. Noch immer 
vermisse ich schmerzlich die endgültige Abschaffung 
dieser Kunstjahrmärkte zu Gunsten gewiser indivi 
duell ausgesuchter Ausstellungen einzelner Persönlich 
keiten. Hier in Venedig hat man zwar wieder einmal 
versucht, einen Kompromiß zu schließen. Man hat 
zwar die Idee einer Massendemonstration der Maler, 
Bildner und Graphiker Europas beibehalten; aber 
man hat wenigstens das starre System dadurch 
etwas durchbrochen, daß man außer den Pavillons 
für einzelne Nationen auch in dem großen Haupt 
pavillon Sonderschauen von besonders starken 
Schöpfern, resp. von solchen, die von der Jury dafür 
erachtet wurden, eingeflochten hat. Außer S e - 
g a n t i n i haben eine stattliche Anzahl solcher 
Spezialausstellungen gewissen teils schon verstor 
benen, teils noch rüstig schaffenden italienischen 
Malern einen meist wohl trotzdem bald verblassenden 
Ruhm verschafft; denn wer nicht irgendwie durch 
jahrelange Beschäftigung mit diesen Künstlern für 
sie voreingenommen ist, kann sich schwer ent 
schließen, in den meisten von ihnen wirkliche 
Charakterköpfe zu erkennen. So kann ich, zumal an 
dieser Stelle, wo es doch nur gilt, ganz hervorragende 
Könner namhaft zu machen, mich nicht dazu herbei 
lassen, mehr als nur einige dieser einer so großen 
Ehre gewürdigten Künstler zu besprechen. 
ln erster Linie den dämonischen Phantasten 
Marius P i c t o r. Auf den ersten Blick erschüttert 
uns die völlig einsame Nächtlichkcit dieses menschen- 
haßerisch naturversponnenen Grüblers. Mario de 
Mari a, (wie der Künstler eigentlich heißt), ist mal 
technisch von Rembrandt zwar berührt, aber niemals 
beeinflußt worden; eher haben es ihm die Spuk 
grotesken eines Hieronymus Bosch oder andere 
niederländische Höllenmaler angetan. Jedoch mutet 
die Art, wie er oft nur die Silhouette eines Haus 
daches oder die Furche einer Dorfstraße durch 
Mondschatten geisterhaft erhellt, ganz eigen an. 
Manchmal denkt man auch an einen ins Tragische 
verzerrten Spitzweg, immer aber fühlt man den 
genialen Funken aus diesen Bildern hervorsprühen. 
Neben diesem starken, weil ganz publikums 
fernen „Eigenen“ kann sich kaum ein anderer von 
den in den italienischen Sonderausstellungen hervor 
tretenden Malern ebenbürtig behaupten; doch ver 
dienen manche immerhin ein kurzes Eingehen, so 
der im Stile seines Zeitgenossen Anton Graff por- 
trätistisch, rein nur gegenständlich schildernde 
Gaspare Landi (1756—1830); so Daniele Ran- 
zoni (1843—89), ein von Rubens herkommender, 
aber farbig viel gemäßigterer Porträtist oder der 
ganz schlicht schildernde Landschafter S o f f i c i. 
Stärker tritt, auch abgesehen von dem kriegsge- 
schichtlich noch immer in Bann schlagenden stoff 
lichen Reiz, der Bildhauer - Architekt Eugenio 
Baron i hervor: sein Kriegsdenkmal monumentali- 
siert den jungen Krieger des Weltkrieges in sehr 
liebevoller, volkstümlich anschaulicher Ausdrucks 
weise und verrät zugleich starkes technisches Können. 
Recht schwach ist in Neuitalien wie von jeher 
die Graphik vertreten. Man hat noch immer nicht 
die Scheu vor der Schwarz-Weißkunst abstreifen 
wollen. So zieht es uns Nichtitaliener von selbst 
immer wieder zu jenen Nationen, die auch dieser, 
gerade uns Deutschen so teuren Kunst huldigen, 
besonders zu den Engländern, Holländern und Bel 
giern. 
Schon als Aquarellisten empfinden manche 
englische Maler ganz graphisch. Wenn jedoch 
ein Frank Brangwyn eine Brücke mit ihren 
zertrümmerten Gewölbepfeilern in das Format eines 
großen Kupferstiches zwingt, äußern sich malerische 
Werte von ungeheurer Dramatik. Die ungebrochene 
Tradition ihrer großen Ahnen aber führen heute die 
holländischen Graphiker weiter. So ist es denn 
nur naturgemäß, daß der italienische Staat z. B. 
einige der unendlich zart und rein konturierten 
Kaltnadelarbeiten eines Lodewyk Schelf h out er 
worben hat; die ganze archaische Herbheit des 
Christusantlitzes hat dieser herbe Innenpoet in. 
frommer Andacht erschaut. Auch N. E c k m a n n 
betont in seinen Zeichnungen die Sachlichkeit der 
Modelle, ohne doch je trocken zu werden. Die jüngste 
Malergeneration dieses Landes ist von großem 
Wagemut beseelt, bleibt aber dabei weitaus be 
sonnener, als ihre b e 1 g i s ch e n Kollegen. So bilden 
denn auch bei diesen beiden Ländern das Bleibende 
in der Erscheinungen Flucht eigentlich vor allem die 
Altmeister, Vincent van Gogh, bei den Holländern 
und Fehden R o p s bei den Belgiern, (letzterer ward
	        
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