Interna tionale Sammler-Zeitung
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Nr. 14
quetschen mußte. Ich konnte alles, weil ich es wollte!“
Er wendet sich dagegen, daß man die Kunst seiner
Spätzeit mit „Virtuosität“ bezeichnet: „Krankheiten,
eine linksseitige Lähmung, wie ein ungeheures Zittern
der rechten Hand, durch Anstrengung mit der Nadel
verstärkt und durch frühere Exzesse von Alkohol her
vorgerufen, verhinderten schon eine handwerkliche
kalligraphische Mache in meinen Arbeiten. Ein fort
währendes Streben, mein Ziel zu erreichen, das ich in
dem Grade niemals erreichte, hat mein Leben vergällt,
und jede Arbeit endete mit Depressionen, dieses Leben
noch weiterführen zu müssen.“
Er zerstört den Glauben der Mitmenschen, daß
er „ein Sonntagskind“, daß er glücklich gewesen sei.
„Wie ich dazu gekommen war, zu dieser Charakte
ristik, mag Gott wissen. Ich weiß das nicht. Es sei
denn ein höhnisches Gelächter, welches ich anzuschla
gen beliebte, wenn es mir recht blöde vorkam, und
meine fletschenden Zähne leuchteten im viereckigen
Maul, welches meine Kollegen in München Quadrat-
rnaul, auch Briefkasten zu nennen beliebten. Da die
Menschen blindlings hinnehmen, was ihnen geboten
wird, so dachte man, ich wäre vergnügt und ein
lachender Philosoph. Und doch bin ich im Leben
stets unglücklich gewesen. Anfangs gleich der heim
liche Krieg meiner Stiefgeschwister gegen mich, ein
fortwährendes Streiten und Zanken, warum sie keine
Schulbildung gehabt hätten, selbst heimliche Nachstel
lung gegen mein Leben. Diese Situation aus meiner
Kindheit ist bis heute in mir geblieben. Dazu kam ein
verneidetes Gemüt gegen heitere Erscheinungen oder
besseres Können. Ein brennender Ehrgeiz hat mich
stets gequält. Es ging kein Tag fort, an dem ich nicht
mein Leben verfluchte und beendigen wollte; aber ich
will auch nicht verheimlichen, daß das Schicksal mir
eine Spannkraft mit auf den Weg gegeben hatte,
welche mich das Böse überwinden ließ, und dann
lächelte mir die Sonne heiter.“ „Ich kann wohl sagen,“
bekennt er an anderer Stelle, „seit meiner Kindheit
war ich von schwerster Melancholie heimgesucht. Es
ist kein Tag vergangen, an welchem ich es nicht bes
ser fand, aus diesem Leben zu verscheiden. Nur eines
war der Unterschied: ich habe es nicht getan. Ich
fürchtete, es später bereuen zu müssen. Deshalb ver
mied ich jeden Besitz von Waffen, Revolver, Dolch.
Auch Rasiermesser habe ich nie besessen aus dem ein
zigen Grunde, ich wollte mich niemals hinreißen las
sen, etwas in der ersten Aufwallung zu tun, was nicht
richtig war . . .“
Die Sammlungen der DOiener Dlaiionafßißfiotßeß.
Die Sammlungen der Wiener Hofbibliothek, die
nach dem Umsturz aus kaiserlichem Besitz in den des
Staates übergegangen sind und den Namen National
bibliothek erhielten, dürfen in ihrem Ursprung auf
Maximilian I. (1493 bis 1519) zurückgeführt werden,
der seine Bücherei von den Humanisten Cuspinian
und Geltes verwalten ließ. Als eigentlicher Begrün
der der Bibliothek, „der Palatina“, darf aber erst
Maximilian II. (1564 bis 1576) angesehen werden.
Unter seiner Regierung und der seines Nachfolgers
R u d o 1 f II. (1576 bis 1612) wurden die Bestände eif
rig vermehrt. Der Leiter der Bibliothek, der gelehrte
B 1 o t i u s, Scheint es in meisterhafter Weise verstan
den zu haben, der Sammlung Schätze aus aller Welt,
aus privaten und klösterlichen Bibliotheken zuzufüh
ren, so daß er mit Stolz zu Ende des 16. Jahrhunderts
die Palatina mit der Vaticana oder der Laurentiana
vergleichen konnte. Trotz der ruhiger Kulturarbeit
durchaus ungünstigen Periode des 30jährigen Krie
ges, waren die Bestände der Bibliothek durch Legate,
Widmungen und Tauschverkehr derart angewachsen,
daß sie unter der Regierung Leopolds I. (1658 bis
1705) von ihrem bisherigen Standort im Minoriten-
kloster in größere Räume übertragen werden mußte,
die sich gegenüber den jetzt noch bestehenden Schatz
kammern befanden. Karl VI. (1711 bis 1740) war
gleich seinem Vater von großem Sammeleifer erfüllt,
er konnte seiner Bücherei spanische und neapolita
nische Bibliotheken, sowie die kostbarste und umfang
reichste, die des Prinzen Eugen hinzufügen. In der
josefinischen Epoche wurde in der Hofbibiliothek
durch eine Anzahl von Beständen aufgehobener Stifte
und Klöster erweitert. Am Anfang des 19. Jahrhun
derts erhielt sie einen großen Zuwachs durch den
größten Teil der Werke aus dem sekularisierten Erz
bistum Salzburg.
Daß die Palatina unter sämtlichen Bibliotheken
der Welt einen allerersten Platz einnimmt, ist in erster
Linie auf ihren ganz einzig dastehenden Schatz an
Handschriften und Inkunabeln zurückzuführen.
Welche Kleinodien hier an spätantiken und frühmit
telalterlichen Buchmalereien verwahrt werden, welche
Unika armenischer, syrischer, äthiopischer und slawi
scher Herkunft die wohlverwahrten Schränke bergen,
kann an dieser Stelle nicht aufgezählt werden. Nur
auf einige Zimelien sei hingewiesen: Eine aus Fug
ger s c h e m Besitz stammende. Handschrift, die so
genannte „Wiener“ Genesis (erstes Buch Mosis), ist
in griechischer Sprache mit Silber auf purpurgefärb
tes Pergament geschrieben. Das Werk gibt vermöge
seiner Malerei einen deutlichen Begriff der spät-
antiken impressionistischen Kunst. Im 5. Jahrhundert
nach Christo entstanden, dem ägyptisch-syrischen
Kunstkreis zugehörend, stellt es, von den Papyri abge
sehen, eines der ältesten erhaltenen Bücher überhaupt
dar.
Eine Handschrift des 6. Jahrhunderts, die ein
Jahrtausend später aus Konstantinopel an den Wiener
Hof gelangt ist, enthält naturalistisch getreue Abbil
dungen von Arzneipflanzen, denen der Arzt Dios-
c o r i d e s einen erläuternden Text hinzugefügt hat.
Goldschrift auf Pergament zeigt ein Psaltertum, das
von Karl dem Großen 795 dem Papste Ha-
d r i a n I. gewidmet wurde. Der für die höfische
Kultur des 14. Jahrhunderts aufschlußreiche „Roman
de la Rose“ offenbart das Formempfinden nordfran
zösischer Hochgotik. In Wien selbst wurde gegen 1400
für A 1 b r e c h t III. eine Handschrift von auserlesen
ster Kunstfertigkeit hergestellt, die ebenbürtig neben
den Meisterwerken französischer Miniaturisten ge
nannt werden kann.
Als Vorläufer des Typendruckes ist ein Block-
druck von Interesse, der aus der zweiten Hälfte des
15. Jahrhunderts stammt und als südwestdeutsche Ar
beit bezeichnet werden darf. Dem Theologen geläu
fige, symbolische Illustrationen des Glaubensbekennt
nisses werden mit lateinischem Text verbunden.
Der zielsicheren Führung des Direktors Hofrat
Dr. Josef B i c k sind in der nunmehr „Nationalbiblio
thek“ gewordenen Sammlung eine Reihe begrüßens
werter Neuerungen zuzuschreiben. Nur einige mögen