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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde,
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
19. Jahrgang.
Wien, 1. Juli 1927.
Nr. 13.
*Die SJCunstufir auf dem fRohen fJJlarkt in ffDien.
Von SRfexander Grosz, ‘Wien.
Wer den Hohen Markt, einst ein Teil des römi
schen Lagers, dann Richtstätte mit dem Pranger und
großer Marktplatz, seit 20 Jahren nicht gesehen, wird
jetzt so manche einschneidende Veränderung be
merken, welche dem Einheimischen, der die allmähliche
Umgestaltung ja täglich vorwärts schreiten sah,
kaum mehr auffallen dürfte. Wo einst, gegenüber dem
Lichtensteg, eine Anzahl alter Häuser gestanden, mit
einem schmalen Durchgang zum alten Fischhof und
Lazzenhof und den vielen engen, winkeligen, kurzen
Straßen und Plätzchen des alten Judenviertels, erhebt
sich ein mächtiges, im rechten Winkel zu einander
gestelltes Doppelgebäude, das eben dort, wo sich der
schmale Durchgang zum Fischhof befand, durch eine
architektonische Anlage, der Ankerbrücke, ähnlich der
Seufzerbrücke in Venedig,-miteinander in Verbindung
steht.
Dieses Doppelpalais, der Ankerhof, wurde nach
den Plänen der Architekten Baurat v. Gotthilf und
Alex. v. Neumann für die Versicherungsgesellschaft
„Der Anker“ erbaut, welche beschloß, in Verbindung
mit dem Gebäude ein Monumentalwerk zu errichten,
das sowohl der historischen Bedeutung des Platzes
gerecht zu werden als auch der Idee der Vergänglich
keit, der dahinschwindenden Zeit und der damit ver
bundenen Notwendigkeit einer Vorsorge fürs Alter,
einer Lebensversicherung, dienen sollte.
Der Hohe Markt hatte schon zu den Zeiten der
Römer große Bedeutung; hier und in seiner Umge
bung entstanden um 40—50 n. Chr. die ersten Anlagen
des römischen Vindobona. Die Hauptstraße, die Via
Principalis, durchschnitt den Platz in der Längsrich
tung; dessen größerer Teil bildete das Forum, das
schon dem Namen nach, den es noch im Mittelalter
hatte, Alto Foro, mit dem heutigen Hohen Markt
identisch erscheint. Das Forum (Markt) war ein von
Gängen, Hallen und Buden umsäumter Platz, der den
Soldaten zu Zusammenkünften außermilitärischer Art
diente. Das wichtigste Gebäude, war das Prätorium, in
dem der Befehlshaber mit seinem Stabe wohnte. Vor
dem Prätorium stand eine Säule zur Bestimmung der
Himmelsgegenden, das Groma, welches auch eine
Sonnenuhr zur Zeitbestimmung enthielt.
Da also schon zu römischen Zeiten das Forum
Vindobona eine Sonnenuhr und später der Hohe
Markt die erste mechanische Uhr Wiens besaß, gab
Prof. Matsch, dem die Anlage des Monumental
baues übertragen wurde, die Anregung, auf der, die
beiden Häuser verbindenden Brücke eine Kunstuhr
zu erbauen, welche auch der historischen Bedeutung
des Platzes Rechnung tragen sollte. Diese Idee wurde
von der Gesellschaft angenommen und die Ausfüh
rung nach den vorgelegten Plänen und Skizzen des
Prof. Matsch beschlossen.
Die Uhr, zu welcher nach den Plänen des Prof.
Matsch der Kammeruhrmacher Franz Morawetz
das Uhrwerk, die Fa. W. A. Richter Söhne das
Figurenwerk und dessen Mechanismus, Gebr. Rieger
die große Orgel und Ingenieur Ern. Kwaysser
den Entwurf der Schaltungsordnung und elektro
motorischen Antriebe geliefert hatten, war bereits im
Jahre 1914 fertiggestellt und ohne Spielwerk in Be
trieb gesetzt. 1916 hatte sie ihre Tätigkeit eingestellt
und wurde erst am 1. Mai 1927 zur Feier des Tages
wieder in Gang gebracht, bei welcher Eröffnungs
feier unter den feierlichen Klängen der Orgel eine
Figurenparade stattfand.
Wenn wir vom Hohen Markt aus zum Fischhof
gehen, passieren wir eben diese Uhrbrücke, welche
im Mittelteil eine Höhe von zirka 7 Meter und eine
Länge von zirka 10 Meter hat; sie wird von 4 Köpfen,
vorne Adam und Eva, rückwärts Engel und Teufel,
getragen. Das Figurenblatt in der Mitte hat einen
Durchmesser von 4 Meter; über demselben hat die
Brücke eine Erhöhung, in deren Innenraum sich das
Schlagwerk und das Orgelwerk befindet; der kleine
Mittelhochbau wird links von einem Kinde mit
Schmetterling, rechts vom Tode mit der Sanduhr be
grenzt; im Mittelfelde auf einem Gitter die Sonne
mit weitauslaufenden Strahlen. Das Zifferblatt ist
vorläufig noch durch einen teppichähnlichen Rolladen
verschlossen, der in seiner unteren Verlängerung
einen Basilisken, den Lindwurm des frühesten Wiens,
bedeckt. Nach Vollendung einiger Umänderungen
wird das Uhrblatt auch vorne frei sein. Wir sehen
dann unterhalb des Sonnengitters einen horizontalen
Wandstreifen mit der 5-Minutenteilung von 0 —60;
unterhalb desselben passieren von der, zu beiden Seiten
mit Fenstern versehenen Uhrenkammer ins Freie
tretend, die überlebensgroßen, 2 m 60 cm hohen
Figuren diese Skala. Diese Figuren sind in Kupfer
getrieben, mit wetterbeständigen Farben bemalt und