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Nr. 18
internationale Sarhmler-Zeitüiig
J^orzettan-Auktion Dlüttgers-Sönksen in STlüncfien.
München, das einst mit der Deutsch Tanagra-
Versteigerung Georg Hirths die künstlerische Be
deutung des europäischen Porzellans neu entdeckt
hat, das dann noch manch andere bekannte Samm
lung auf dem Kunstmarkt erscheinen sah, hat seit
einigen Jahren keine sehr wichtige Versteigerung
dieser Art mehr erlebt. Nun gelangen am 28. und
29. Oktober mit den Porzellanen der Sammlung
Riittgers und Sönksen wieder einmal Bestände
von bester Qualität bei H e 1 b i n g zur Auktion.
Will man die besondere Eigenart der beiden
Sammler kurz charakterisieren, dann kann man sagen,
daß Rüttgers darauf bedacht war, die bekannten
Manufakturen durch schöne charakteristische Modelle
zu repräsentieren, während sich Sönksen vielfach auf
Eigenartiges und Seltenes kaprizierte. Es liegt hier
reiches und interessantes Material vor, das einer ein
gehenden Besprechung wert wäre. Wir können uns
aber nur auf einige Stichproben beschränken. Meis
sens größter Modelleur Kandier ist mit seinen
noch barocken Frühwerken, z. B. dem Bettelmusikan
tenpaar, den Komödiantenfiguren, den Aposteln
ebenso gut vertreten, wie mit seinen dem Rokoko
angehörigen Ausrufertypen, Tänzerinnen oder Chine
sengruppen. B u s t e 11 i, der Nymphenburg das Ge
präge gegeben hat, zeigt in sechs italienischen Ko
mödienfiguren die vollendete Lösung, die das reife
Rokoko diesen Typen gab, seine Meisterschaft wird
noch durch mehrere Putten und vor allem durch die
aus der Sammlung von Pannwitz stammenden Büsten
von Sommer und Winter bewiesen. Auch Bustellis
Nachfolger A u 1 i c z e k tritt in Erscheinung. Am
wirkungsvollsten ist ein seltenes Affenpaar. Der Zahl
und der Qualität nach ragt in den Sammlungen die
Produktion der Höchster Fabrik hervor. An Ge
schirren ist hier eine schöne Kollektion, dabei eine
Helmkanne mit Becken mit ausgezeichneter Purpur
malerei. Im Figürlichen ist die Frühzeit durch mehrere
stark unter dem Einfluß der barocken Kaendler-
figuren stehende Modelle repräsentiert. Daran schlies-
sen sich zahlreiche, zum Teil unter Franken
thaler Einfluß stehende Figuren und Gruppen,
darunter die Freimaurergruppe in selten feiner Staf-
fierung. Ganz besonders reich ist die Melchior-
Periode der Fabrik ausgewählt. Frankenthaler Ge
schirr mit der schönen Blumenmalerei leitet zur
Plastik dieser Fabrik über. Modelle von L a n z aus
der Frühzeit unter den Hanongs gehen den zahl
reichen Arbeiten aus der Zeit der kurfürstlichen Ver
waltung voran; hier sind vor allem die bekannten
Familiengruppen und die reizenden kleinen Chinesen
Karl Gottlieb L ü c k s zu erwähnen. Auch über das
Schaffen der letzten der großen süddeutschen Manu
fakturen, Ludwig.sburg, gewinnt man einen fast
vollständigen Ueberblick. Die Plastik dominiert hier.
Wir erwähnen vor allem die überschlanken, fein be
malten Einzelfiguren der Berufstypen, die berühmten
Beyerschen Musiksolis und dann die großen reprä
sentativen Gruppen. Sehr selten ist der große fünf
teilige Vasensatz mit farbiger deutscher Blumen
malerei. Von den wegen ihres schönen Porzellans
und der feinen Bemalung so geschätzten F u 1 d a e r
Figuren sind drei Exemplare vorhanden, der reizende
Knabe mit Katze, die Gärtnerin und das kleine Mäd
chen mit Blumenstrauß. Die Thüringer Fabriken:
Fürstenberg, Kloster Veilsdorf, Volk
stedt und L i m b a c h figurieren mit interessanten
Modellen. Wien entstammen zwei seltene, nach
Meissener Vorbild geschaffene Apostel, dann einige
Figuren und Gruppen.
Neben dem europäischen Porzellan tritt nach
Zahl und Qualität das ostasiatische weit zurück. Es
handelt sich meist um in Art der „famille rose“
bemaltes Geschirr des 18. Jahrhunderts, darunter ein
Service aus der Kien-Lung Zeit. Dagegen finden sich
interessante und vorzügliche Stücke unter den Fayen-
.cen, dabei blauweißes und polychromes Delft vom
Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts. Ganz
besonders möchten wir auf sechs sehr seltene Straß
burger Figuren in porzellanhaft feiner Bemalung hin-
weisen, die die Blaumarke Paul Hanongs tragen.
Den Beschluß des Kataloges bilden verschiedene
Gegenstände aus dem Besitze Sönksens: eine vorzüg
lich erhaltene holländische Kastenstanduhr, zwei eng
lische Farbstiche von Ward, zwei Gemälde der west
deutschen Schule von 1645, außerdem Arbeiten in
Kupferemail, Silber, Bronze, Messing und Wachs.
Eine Rarität'ist die kleine Kollektion von europäischen
und ostasiatischen Bernsteinarbeiten.
Der mit 28 Tafeln ausgestattete, 570 Nummern
umfassende Katalog wird durch ein Vorwort von
Dr. H a u s 1 a d e n, Konservator des Residenzmuseums
in München, eingeleitet. Der Katalog ist durch die
Firma Hugo H e 1 b i n g in München zu beziehen.
Chronik.
AUTOGRAPHEN.
(Ausverkauf bei Shaw.) Der Auszug George
Bernard Shaws aus seiner alten Wohnung in Adelphi Terrace
hat den Dichter veranlaßt, unter seinen Manuskripten
aufzuräumen. Ein New-Yorker Buchhändler hat eine Reihe un
veröffentlichter Manuskripte Shaws erworben, die Shaw später
umgearbeitet oder für die Veröffentlichung nicht reif be
funden hat. Darunter befinden sich mehrere Fassungen seiner
„Großen Katharina“, einige Jugendramen, die den Einfluß
Byrons erkennen lassen, und ein dramatischer Entwurf über
den römischen Kaiser Augustus, der in wörtlicher Ueber-
setzung aus dem Englischen etwa den Titel tragen würde
„Augustus ist am Beißen“.
BIBLIOPHILIE.
(Die Wiegendrucke der wissenschaftlichen
Zentralbibliothek von Odessa) beschreibt ,1. F a a s
in der neuesten Nummer der Kicwcr Zeitschrift „Bibliologicni
Visti“ (1927, Nr. 2). Die Inkunabeln, 35 an der Zahl, stammen
sämtlich aus den letzten Jahren des 35. Jahrhunderts und sind
vorwiegend juristischen Inhalts. Ihr Entstehungsort ist meisten
teils Rom, dann Venedig, Florenz, Nürnberg, Köln, Augsburg,
in einzelnen Fällen auch Krakau und Brünn. Sehr selten ist
das unter Nr. 10 angeführte erste südslavische Buch in
lateinischer Schrift: „Euangelia et epistolae per anni circulum
lingua illyrica emendata per fratrem Bernardinum Spalenten-
sem. Venetiis. Damianus de Gorgonzola Mediolanensis. 1495.
Quart.“ Außer dem Exemplar von Odessa sollen nur noch
vier Exemplare dieses Buches vorhanden sein, und zwar
je eins in Zadar, im Tersat-Kloster bei Reka, in Dubrovink
und Oxford, jedoch sind diese Exemplare stark beschädigt
und unvollständig, während das Exemplar von Odessa recht
gut erhalten ist und sämtliche Blätter, das fehlende Titelblatt
ausgenommen, aufweist. Das 1491 in Krakau gedruckte Buch
ist das kyrillische Stundenbuch („Casoslov“) von Svajpolt
F i o 1. Das Exemplar ist von der Zeit arg mitgenommen wor
den und weist von 384 nur 224 gesonderte Blätter ohne Anfang
und Ende auf.