Nr. 16
INTERNATIONALE SAMMLER - ZEITUNG
Seite 157
Chronik.
BIBLIOPHILIE.
(Eine Lessing-Jubiläumsausgabe.) Zum 200. Geburtstag
Lessings im Jänner 1929 gibt der Otto Quitzow-Verlag
(Lübeck) eine 18 bändige Jubiläumsausgabe der Werke
Lessings im großen Folioformat heraus. Das Erscheinen der
Bände wird sich auf mehrere Jahre erstrecken. Die textliche
Gestaltung besorgt auf Grund der Lachmann - Munckerschen
Forschungen der als Lessingkenner mehrfach hervorgetretene
Oberbibliothekar Dr. Heinrich Schneider, der mehrere
Jahre Leiter der Wolfenbütteier Bibliothek war. Es wird nur
eine einmalige, in der Presse numerierte kleine Auflage her
gestellt,
(Diderots Inedita.) Aus einem Artikel Hubert G i 11 o t s
in der »Revue Bleue« geht hervor, daß die noch nicht oder
nur in inkorrekter, unvollständiger Fassung publizierten nach
gelassenen Werke Diderots viel umfangreicher sind, als
man gemeiniglich annimmt. Dieser Nachlaß befindet sich im
Besitz des letzten Erben, des Barons Le Vavasseur, der
sie den Archiven des Departements Haute-Marne übergeben
und durch Paul L e d i e u veröffentlichen lassen wird. Unter
den Papieren befinden sich fast alle Briefe an Mademoiselle
V o 11 a n d, im ganzen 546,' von denen nur 139 publiziert wor
den sind, ferner eine Menge anderer Briefe, die über viele
dunkle Punkte in der Biographie, insbesondere über das vor-
pariserische Leben in Langres, über Diderots Beziehungen zu
seiner Familie, Licht bringen können. Ueberdies eine ganze
Reihe von unveröffentlichten Werken oder besser Entwürfen
und von Vorarbeiten zu geplanten Werken. Die Manuskripte
von erst postum publizierten Schriften lassen erkennen, daß
die Edition unvollständig und ungenau vorgenommen worden
ist. Aus den hinterlassenen Papieren geht auch hervor, daß
Diderot nicht, wie man lange annahm, am 31. Juli 1784 in
Paris, an der Rue Richelieu gestorben ist, sondern am 30. Juli
in seinem Landhaus in Sevres. Die Familie scheint den Leich
nam heimlich nach Paris gebracht und falsche Angaben ge
macht zu haben, um die »dingierte« Beisetzung in der Kirche
Saint-Roch zu ermöglichen.
(Versteigerung bei Max Perl.) Das Antiquariat Max
Perl in Berlin veranstaltet am 30. August eine Versteigerung
von Inkunabeln, deutscher und ausländischer Literatur, illu
strierten Büchern, Manuskripten und Urkunden und moderner
Graphik aus dem Nachlaß eines Berliner Sammlers und an
derem Besitz.
BILDER.
(Vermeers »Religion«.) Ein Hauptwerk des Delfter Ver
meer, die Allegorie der christlichen Religion, ist von Dr.
Abraham Bredius an den Kunsthändler F. Kleinberger
verkauft worden, und so wird auch dieses Bild den Weg nach
Amerika nehmen. Das Bild zeigt eine Frauengestalt in blauem
Gewände, mit den Attributen des christlichen Glaubens vor
einem Kreuzigungsbild sitzend. Auf dem Marmorfußboden rin
gelt sich die Schlange, liegt der Apfel des Paradieses. Der
Delfter Meister hat den ganzen Glanz seiner malerischen Hand
schrift auf das Beiwerk verlegt, besonders auf den kostbaren
Bildvorhang, der die Ecke einnimmt und auf seinem Bild in
der Wiener Galerie Czernin wiederkehrt, dem Maler im
Atelier. In den letzten Jahren sind von den etwa 40 Bildern,
die man von Vermeer kennt, schon 13 nach Amerika gelangt:
sieben hängen in New York, drei in Philadelphia, eines in
Boston,
(Huldschinskys Metsu in Amsterdam.) „Das kranke Kind"
von Gabriel Metsu, das auf der Berliner Auktion der Samm
lung Huldschinsky für 200,000 Mark zugeschlagen wurde,
ist jetzt ins Amsterdamer Reichsmuseum übergegangen; der
Präsident der Rembrandt-Gesellschaft und mehrere andere
Kunstfreunde-haben es der Galerie überwiesen. Das Bild sollte
schon 1913 ins Amsterdamer Reichsmuseum kommen; damals
war es den Holländern zu teuer, da es der Pariser Kunst
händler Kleinberger auf 312.000 Franken trieb. Nach
Holland kamen auch die Briefleserin von T e r b o r c h, in die
Galerie von Frau von Parnwitz in Bennebroek bei Haar
lem — es ist jenes Bild, von dem Wilhelm von Bode stets
betonte, daß es Eigentum des Berliner Museums sei, eine Be
hauptung, die Oskar Huldschinsky lebhaft bestritt — und die
»Mutter mit Kind« von Nicolaes M a e s,
(Das Lächeln der „Monna Lisa“,) Leonardo da Vincis
»Monna Lisa« im Pariser Louvre hat zu einer unabsehbaren
Reihe von Interpretationen und auch zu zahlreichen poeti
schen Produktionen Anlaß gegeben, wie Tizians »Himmlische
und irdische Liebe«, Gegenstand der Deutung war insbeson
dere das mysteriöse Lächeln der schönen Frau, aus dem
Aesthelen und Dichter allerhand herauszulesen wußten. Wenn
man aber einem allerneuesten griechischen Kunstkritiker
Glauben schenken wollte, so wäre die Lösung des Rätsels
recht einfach.
Im »Messager d'Athenes« vom 9. August wird nämlich
ausgeführt, daß Luisa Gherardini, das Modell des Bildes,
die Tochter eines reichen und sehr geizigen neapolitanischen
Edelmanns war, der seiner Tochter die landesübliche Mitgift
nicht geben wollte, so daß sie mit 23 Jahren trotz ihrer Schön
heit noch ledig war. Da entschloß sie sich denn, einem rei
chen Florentiner Bürgerlichen die Hand zu reichen, einem
Francesco del G i o c o n d o (daher »die Gioconda«), der auf
die Mitgift verzichtete. Wenn es eine Liebesheirat war, dann
war es jedenfalls eine einseitige, denn der Mann sei 57 Jahre
alt gewesen, häßlich, kahlköpfig und von ordinären Manieren,
seines Zeichens Schlächter und Gerber, und sein Haus »roch
sehr schlecht«, wie man aus einem erhaltenen Brief Leonardos
wisse. Der Künstler müsse die Frau etwa vier Jahre nach
der Heirat kennen gelernt haben, als er aus Lodovico Moros
Diensten ausgetreten und wieder in Florenz eingetroffen war.
Nun wird aber im Katalog der Kollektion des Fürsten P r i -
m o 1 i auch eine vollständig nackte »Gioconda« erwähnt und
abgebildet, woraus der Kritiker den Schluß zieht, die Frau sei
des Malers Geliebte gewesen und das Rätsel der Kunstge
schichte, weshalb Leonardo an dem Bild vier volle Jahre ge
malt habe, löse sich einfach dadurch, daß er das im Louvre
hängende Bild, das bekanntlich eine wohlbekleidete Frau dar
stellt, möglichst hinausgezögert habe, um einen guten Vor
wand für die Besuche im Hause des Giocondo zu haben. Eben-
daraus seien auch die beiden weiteren geschichtlichen Fragen
zu lösen, daß der Ehemann das Bild schließlich nicht bezahlen
wollte und daß Leonardo selber sich von dem Werke gar
nicht trennen konnte, so daß er es nach Rom und dann nach
Frankreich mitnahm, wo Franz I. es ihm für zwölftausend
Pfund abkaufte, aber trotz vielen Reklamationen erst spät in
seinen Besitz gelangen konnte.
Das liest sich ziemlich plausibel und man trägt Beden
ken, diese Erklärung, die so "vielen schönen Legenden unbarm
herzig ein Ende macht, zu verbreiten, denn Goethes Aus
spruch besteht zu Recht, daß eine schöne Legende mehr wert
sei und auch mehr Wahrheitsgehalt habe, als eine dürftige
historische »Wahrheit«.
HANDSCHRIFTEN.
(Papyrus-Funde.) Bei den Ausgrabungen in Herkulanum
sind auch eine Anzahl von Papyrus-Handschriften
zutage gekommen, deren Bearbeitung eine besonders entsa
gungsvolle Leistung darstellt. Ulrich von Wilamowitz-
Moellendorff weist jetzt in dem kritischen Organ der
Akademien der Wissenschaften, der »Deutschen Literatur
zeitung«, auf eine neue Veröffentlichung des Professors Achille
V o g 1 i a n O von der Universität Cägliari hin. Er hat in jahre
langen Mühen sich immer wieder mit dem Lesen der verkohl-