Internationale
gdinmlerZeifunfl
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
20. Jahrgang. Wien, 15. Jänner 1928. Nr. 2.
Der Pariser SKunstmarßt im Sfaßre 1927.
Von Beo Scfiidfof, SParis.
Wer den Pariser Kunstmarkt nur aus der Vor
kriegszeit oder den ersten Jahren nach Kriegsschluß
kennt, würde es nicht für möglich halten, daß dieser
größte Kunstmarkt der Welt eine so durchgreifende
Veränderung im Laufe der letzten Jahre und be
sonders im eben vergangenen Jahre erfahren konnte.
Diese Veränderung und, sagen wir es gleich heraus,
gewaltige Verschlechterung in der Qualität und
Quantität der vorkommenden Kunstgegenstände ist
auf zwei Ursachen zurückzuführen, erstens auf das
Seltenerwerden der Qualitätsobjekte in Europa über
haupt infolge des fortwährenden stets im Zunehmen
begriffenen Abflusses nach Amerika, zweitens auf die
Inflation der vergangenen Jahre, durch welche unge
heure Mengen von Kunstgegenständen ins Ausland
abgeflossen sind.
Die Inflation in Frankreich, so geringfügig die
selbe, verglichen mit der in Deutschland und Oester
reich war, übte denselben Einfluß auf den Kunst
markt in Paris aus, wie in den beiden zuletzt ge
nannten Ländern, indem sich die Warenlager der
Händler bedeutend reduzierten und die meisten bes
seren Objekte, die sich in schwachen Händen des
Privatbesitzes befanden, in rascher Folge zum Ver
kaufe kamen. Nachdem nun dieses flottierende Mate
rial aufgesogen ist, gibt es nur mehr zeitweise ent
weder sehr hochwertige Auktionen, die zumeist in
folge eines Todesfalles zur Versteigerung gelangen
oder aber recht minderwertige. Die gute Mittelauk
tion, in welcher der Kenner stets wirkliche Qualitäts
objekte finden konnte, fehlt heute fast vollständig.
Ein ähnliches Bild zeigen die Warenlager der hiesi
gen Antiquare und Kunsthändler. Die großen Firmen
besitzen nach wie vor ein bedeutendes Lager vorzüg
licher Objekte auf allen Gebieten, wenn auch viel
leicht in vielen Fällen etwas weniger reichhaltig wie
früher, die mittleren Geschäfte jedoch sind in der
Qualität außerordentlich zurückgegangen und die
kleinen Geschäfte, die in früheren Jahren eine schier
unerschöpfliche Fundstätte für „Entdeckungen“ bil
deten, enthalten heute nur mehr Bodenkram.
Mit einem Worte, das charakteristische Merkmal
des heutigen Pariser Marktes ist der Ware n m a n -
g e 1. Dies drückt sich naturgemäß auch in den
Preisen aus. Objekte besserer Qualität, welche des
halb noch nicht nach hiesigen Begriffen erstrangig
sein müssen, werden selbst in den kleinsten Auk-
, tionen zu hohen Preisen aufgenommen. Die meisten
Antiquare beklagen sich in letzter Zeit über den Ge
schäftsgang aber nur deshalb, weil sie nicht im
Stande sind, gutes und verkäufliches Material - in
genügenden Mengen zu finden, denn dieses ist sofort
verkauft, während die minderwertigen Sachen, die in
der Inflation zu „Ware“ avanciert waren, heute
schwer an den Mann zu bringen sind, genau so wie
dies in Wien nach Beendigung der Inflation der Fäll
war.
Der Warenmangel brachte es mit sich, daß viele
Händler sich auf neue, bisher vernachlässigte Kunst
gebiete oder Kunstepochen warfen. So greift man
auf dem Gebiete des Kunstmobiliars und der Dekora
tionsgegenstände, da die guten Stücke des IS. Jahr
hunderts viel seltener und teurer geworden sind, viel
fach auf die Empire- und Biedermeierzeit über, Stile,
die früher hier ganz vernachlässigt waren. Ja, es gibt
sogar seit wenigen Jahren eine Anzahl von Spezials
geschähen, die ausschließlich Biedermeiergegen-,
stände führen und die offenbar florieren, da ihre Zahl
sich ständig mehrt. Im Bilderhandel die gleiche Er
scheinung. Infolge der Seltenheit der Gemälde alter
Meister haben sich viele Bilderhändler, darunter auch
einige der größten Firmen auf die ganz M o d c r-
n e n geworfen. Fast jede Woche sieht man nun eine
Versteigerung von Gemälden, deren Darstellung ; in
den seltensten Fällen erkennbar ist und für die Zehn
tausende, ja Hunderttausende von Francs bezahlt
werden, obgleich die meisten dieser neuen Großen
noch vor kürzester Zeit vollständig unbekannt- und
deren Werke selbst um 5 bis 10 Francs unverkäuflich
waren. (Wer kannte noch vor wenigen Jahren U t -
r i 11 o oder den Douanier Rosseau?) Selbstver
ständlich spielt bei der Beliebtheit dieser Art von
Kunst das spekulative Moment eine große Rolle.
Immerhin, es wäre unrichtig aus dem Gesagten
die Schlußfolgerung zu ziehen, Frankreich hätte
seinen ungeheuren Kunstbesitz eingebüßt. Es gibt
hier noch sowohl in ererbtem Privatbesitz sowie im
Besitze der zahlreichen Sammler ungeheure Men gen