MAK
Internationale 
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
20. Jahrgang. Wien, 1. März 1928. Nr. 5. 
Expertisen 
Vor einem Wiener Schöffengerichte wurde eben 
ein Bilderbetrugsprozeß durchgeführt, der das 
traurige Kapitel vom „Expertentum“ um eine neue 
Species, die Expertise in b i a n c o. bereicherte. 
Angeklagt war ein simpler Bilderagent — es gibt 
bekanntlich auch nicht simple, die sitzen in den 
Galerien, Museen etc. —, der beschuldigt war, eine 
Pfandleihanstalt dadurch um eine sehr hohe Summe 
geschädigt zu haben, daß er ihr Expertisen eines an 
gesehenen Kunstkenners vorlegte, in denen die zur 
Belehnung überreichten Bilder weit, über ihren Wert 
geschätzt waren. Der Experte hatte sich seine Sache 
so leicht, als nur möglich, gemacht; er ließ den Agen 
ten schreiben, was er wollte, er las es nicht einmal 
durch, sondern begnügte sich damit, seinen werten 
Namen darunter zu setzen. Später war ihm auch diese, 
gewiß sehr gut honorierte Arbeit zu viel, und da kam 
er auf die originelle, des Reizes der Neuheit nicht 
entbehrende Idee, die Expertisen — in b i a n c o zu 
geben, das heißt, er händigte dem Manne ein mit 
seiner Unterschrift versehenes Formulare ein, das der 
Mann nach Gutdünken ausfüllen konnte. Die Staats 
anwaltschaft hatte gewiß keine gesetzliche Handhabe, 
gegen den Experten einzuschreiten: auf der Anklage 
bank saß daher nur der Bilderagent, der „das Ver 
trauen“ des Experten gröblich mißbraucht hatte, aber 
dieser hatte schließlich die Genugtuung, daß er vom 
Gericht mit der Begründung vom Betrüge freige 
sprochen wurde, daß er nur dann hätte verurteilt 
werden können, wenn ihm nachgewiesen worden 
wäre, daß er in die ihm in bianco anvertrauten 
Bogen höhere Schätzungswerte eingesetzt hätte, als 
sie ihm der Experte mündlich angab. Der Gerichts 
hof nahm an, daß der Experte „im Drange der Ge 
schäfte (!) und bei mangelnder Gründlichkeit die 
Beträge genannt hat, auf die er sich nun nicht mehr 
erinnern kann oder w i 11.“ 
Mit dem Urteil ist die Sache allerdings noch nicht 
zu Ende, denn abgesehen davon, daß der Staatsanwalt 
die Nichtigkeitsbeschwerde dagegen angemeldet hat, 
was die Aussicht auf eine neue Verhandlung eröffnet, 
beabsichtigt nun, wie wir vernehmen, die geschädigte 
Pfandleihanstalt den Experten für seine Gutachten 
zivilrechtlich haftbar zu machen. Aber auch das 
Parlament sollte eine Konsequenz aus diesem Prozesse 
ziehen. Zur Zeit steht die Reform des Strafrechtes im 
Justizausschuß zur Beratung: sollte da nicht eine 
in ßianco. 
Bestimmung in Erwägung gezogen werden, die der 
artige, gelinde gesagt, leichtfertige Expertisen, unter 
Strafsanktion stellt. Der . Fall dürfe sich nie mehr 
wiederholen, daß auch auf dem Gebiete des Kunst 
handels Lettres de cachet eingeführt werden, die 
jedem Mißbrauch Tür und Tor öffnen. 
Wir geben im Nachstehenden die wichtigsten 
Momente aus dem Prozesse wieder, der vier Tage 
lang die Oeffentlichkeit in Atem hielt. 
Aus der Anklageschrift. 
Öie Anklageschrift legte dem Handelsagenten Anton 
Speil zur Last, daß er alte Kunstwerke, hauptsächlich 
Bilder, auf Grund gefälschter Schätzungen irr der 
Pfandleihanstalt Gerhold & Weil-ich weit über den 
wirklichen Wert hinaus belehnen ließ, 
Die Pfandleihanstalt hat ihm auf Grund der falschen 
Schätzungen um 6 5.0 0 0 Schilling mehr Darlehen ge 
währt, als dies im Falle der richtigen Schätzung der Kunst 
werke bewilligt worden wäre. 
Anton Speil verpfändete bei Gerhold & Weirlch vom 
Herbst 1925 bis zum Sommer 1926 eine Reihe von Bildern. 
Diesen Bildern wurden Expertisen des früheren Restaurators 
des Kunsthistorischen Museums und jetzigen Direktors der 
Harrach’schen Gemälde-Galerie, desRegierungsrates Hermann 
Ritschl, beigelegt. In den Expertisen war auch der Wert 
der- betreffenden Kunstwerke angegeben; die Wertangaben 
bewegten sich zwischen 2500 und 15.000 Schilling. Es waren 
dies Bilder von Waldmüller, Kriehuber, Daffinger, Jakob Alt, 
ferner von wenig bekannten niederländischen Malern und 
weiters fünf alte Miniaturen. Insgesamt verpfändete Speil 
Bilder im Schätzungswerte von 122.000 Schilling und erhielt 
darauf Darlehen in der Gesamthöhe von 75.000 Schilling. 
Bald stellte es sich heraus, daß die verpfändeten Bilder 
bedeutend weniger wert waren: durch gerichtliche Sachver 
ständige wurde ein Schätzungswert von ungefähr 2 0.0 0 0 
Schilling festgestellt. Demnach waren die Bilder um 
1 0 0.0 0 0 Schilling überwertet. 
im Zuge des gegen Speil eingeleiteten Strafverfahrens 
ergab sich folgender Sachverhalt: Speil trat im Herbst 1925 
mit Regierungsrat Ritschl in Verbindung. Er kaufte von ihm 
Bilder, ließ von ihm eigene Bilder restaurieren und schriftliche 
Gutachten über den Wert seiner Bilder abgeben, wofür Ritschl 
das übliche Honorar erhielt. Regierungsrat Ritschl verfaßte in 
der ersten Zeit seine Expertisen handschriftlich. Später kaufte 
Speil eine Schreibmaschine und von da an wurde die Aus 
stellung von Expertisen auf die Weise vorgenommen, daß 
Speil die von Regierungsrat Ritschl handschriftlich entworfene 
Expertise mit der Maschine niedergeschrieben und Regie 
rungsrat Ritschl zwecks Unterfertigung vorge- 
leg't hatte. Im Laufe der Zeit entwickelte sich ein derartiges 
„Vertrauensverhältnis“ zwischen den beiden, daß 
Ritschl die ihm vorgelegten Maschinschrifteti gar nicht 
durchgelesen, sondern im Vertraue n auf die 
richtige Wiedergabe seiner handschriftlichen Ex 
pertise ungesehen unterschrieben hatte. Dieses:
	        
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