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Internationale 
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde 
Herausgeber: Norbert Ehrlich. 
20. Jahrgang. Wien, 1. April 1928. Nr. 7. 
Zu Zitßrecfii Dürers 400. Zodestage. 
‘Von [Professor ‘Dr. [Hans LTietze (‘Wien). 
Wien darf sich rühmen, die Hauptstadt des 
deutschen Kaiserreiches gewesen zu sein. Wir erken 
nen diese bedeutungsschwere Mission heute noch auf 
Schritt und Tritt in dem historisch gewachsenen 
Organismus des Stadtbildes. Doch nirgends sonst. 
Durch Schicksalsfügung und schwere Versäumnisse 
ist es verscherzt worden, diesen ererbten ideellen 
Anspruch bis heute zu behaupten; Wien ist nicht 
mehr die Stadt, in der sich die geistige Kultur 
Deutschlands repräsentativ vereinigt fühlt. Nicht nur 
die Gründe, die uns direkt angehen, tragen die 
Schuld; die Auseinandersetzung mit dem künstlerisch 
führenden Westen und Norden vollzieht sich seit 
einem halben Jahrhundert fern von Wien und den 
Alpenländern, die ihre einst so wichtige Rolle als 
Nachbarland des ehemals künstlerisch führenden 
Italiens verloren haben. Ich denke da nicht an die ört 
liche Nähe und Ferne, die ja heute keine Bedeutung 
mehr haben, sondern an jene innere Verwandschaft 
unseres Volkes zu Italien, die einmal seine Kräfte be 
flügeln konnte, aber heute für uns bedeutungslos ge 
worden ist. 
Wie schmerzlich unsere Einbuße an Gegenwarts- 
vverten ist, fühlen wir in diesem Jahre, da wir die 
vierhundertjährige Wiederkehr von Dürers Tod fei 
ern; Wien war und ist auch heute noch die Stadt, in 
der Dürer, der repräsentative deutsche Künstler der 
Vergangenheit, am vielseitigsten, am reichsten, am 
repräsentativsten vertreten ist. 
Der Besitz Wiens an Dürerwerken ist innig mit 
der ehemaligen Dynastie verbunden. Die stattliche 
Anzahl von Zeichnungen in London ist im wesent 
lichen aus der alten Privatsammlung von Sir Sloane 
dem von diesem mitgegründeten British Mu 
seum zugewachsen; der reiche Schatz in Berlins 
öffentlichem Besitz ist nach und nach im Laufe des 
19. Jahrhunderts aus Privatbesitz envorben worden. 
Auch in Bremen, in Frankfurt oder Lemberg sehen 
die ausgezeichneten Beispiele auf eine erst ein paar 
Jahrzehnte alte Tradition zurück. Aber w r ir fragen 
weiter, woher kamen die köstlichen Aquarelle nach 
Bremen, aus welchen Sammlungen stammen die 
Zeichnungen in Berlin, woher der außerordentliche 
Stock von Zeichnungen des Lubomirski-Museums in 
Lemberg, der erst vor einem Jahr für die Wissen 
schaft wiederentdeckt worden ist? Woher kam das 
farbenglühende Anbetungsbild in die Uffizien? Alle 
Fäden laufen in Wien zusammen. Von hier ging das 
Bild, das Kaiser Rudolf II. 1603 erworben hatte, 1792 
als Tausch gegen die Darstellung im Tempel von Fra 
Bartolommeo nach Florenz; von hier kamen in den 
20-er Jahren des 19. Jahrhunderts die Zeichnungen, 
die der Leiter der Albertinasammlung Frangois Le: 
Febre in irgend einer Form von dem greisen Herzog 
Albert von Sachsen-Teschen zu erhalten verstanden 
Hatte, auf verschiedenen Umwegen in ausländischen 
Besitz. Ursprünglich hatte der ganze Stock der Hof 
bibliothek gehört, angeblich 371 Zeichnungen in 
zwei Klebebänden. Herzog Albert hatte sie gegen 
zeitgenössische Graphik für die Albertina einge 
tauscht. Wie dann in der Albertina die Absplitterung 
des alten Dürerbesitzes erfolgte, können wir aus dem 
Brief des Wiener Kunsthändlers Grünling, der an 
scheinend den Vertrieb übernommen hatte, an Har 
zen in Hamburg erschließen: „Ich kann Ihnen ver 
läßlich versichern, daß. die Ware ganz und vollkom 
men acht scy; ich verstehe mich doch auf diesen 
Artikel, wie Sie wohl wissen. Dencken Sie, daß der 
Einkauf von mir unter sehr günstigen Umständen 
gemacht worden und wenn Ihnen eine saldierte Rech 
nung des ehemaligen Herzog Albertschen Gallerie- 
direktor Le Febre angewiesen ist, so können Sie durch 
selbe ersehen, daß ca. 40 Stück dieser Sammlung um 
460 fl. baar und billig bezahlt worden, es mögen fast 
alle von dem verstorbenen Herzoge beseitigte und 
an Le Febre gekommene Blätter seyn, da der Herzog 
so viel erhielt und wohl bey sich wiederholten Zeich 
nungsgenre nicht alles damals behalten und auf 
nehmen wollte.“ (Mitgeteilt bei Meder, Die Hand 
zeichnung S. 646, Anm. 3). Wenn die überlieferte, 
aber in den Akten nicht nachweisbare Zahl 371 
stimmt, so war es keine Absplitterung, sondern eine 
Spaltung, die der ansehnliche Stock erdulden mußte, 
da der heutige Besitz nur etwa 140 Blätter beträgt. 
Wien ist zu Dürers Werken nicht wie Nürnberg, 
für das sie selbstverständliches Familienerbgut waren, 
gekommen. Ein Ruhmesblatt des deutschen Kaisers 
Maximilian I. war es, den Nürnberger Meister aner 
kannt u. beschäftigt zu haben; trotzdem gibt es kein 
einziges Werk hier, das unmittelbar aus seinem Be 
sitz in jenen der habsburgischen Dynastie in Oester 
reich übergegangen wäre. Das Malerwerk Dürers
	        
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