und der Gruft und der Interpretation durch Fresko und
Stuck erlaubt die Frage nach einem umfassenden und
verklammernden Konzept. im ersten Teil dieses Dar-
stellungsversuches soll die exemplarische Verknüp-
fung gezeigtwerden, d. h. die Dichte eines Programms,
das die Ausführung offenbar immer begleitete und
lenkte; ein später nachfolgender Teil soll erklären, wel-
che Voraussetzungen in künstlerischer und ideeller
Hinsicht bestanden habenF
Die Kirche ist ein einfacher Saalbau mit halbkreisformi-
ger. an den Seiten leicht eingezogener Apsis; die vier
Joche des Saals sind durch Doppelpilaster (Komposit-
ordnung) voneinander getrennt; dasselbe System -
Doppelpilaster mit darüber verkröpftem Gebälk -
akzentuiert auch die Apsis, wobei allerdings durch die
Kannelierung, die Marmorierung. die reiche Anwen-
dung von Gold die Architektur nun wesentlich prägnan-
ter und insgesamt die Apsis als festlicher Farbraum
erscheint. im Westen trägt ein Segmentbogen auf vor-
springenden Wandpfeilern die Empore. Die Apsis ist
durch eine Halbkuppel bedeckt, die vier Joche des
Langhauses besitzen Platzelgewölbe. die durch den
Doppelpilastern entsprechende zweifache Gurten von-
einander abgesetzt sind. Über der Empore sind die Gur-
ten sogar vervierfacht. Das alles ist in einer sehr ein-
fachen und klaren Architektursprache vorgetragen.
Bereits von dieser einfachen Architekturgrundierung
sind gewisse distinguierende Elemente wahrzuneh-
men. So wird das sonst einheitlich durchziehende
Gebälk vor der Apsis in Architrav und Fries unterbro-
chen: hier sind Doppeltüren angebracht (zur Sakristei
im Norden, zu einem Emporenzugang im Süden). die
darüber befindlichen rundbogigen Emporenöffnungen
wurden durchsehrfeineStuckierungen zu einereinheit-
lichen Dreiergruppe zusammengebunden? zwei
Scheinfronten stehen in einer leichten Querrichtung
einander gegenüber. Sehr klug inszeniert wurde die
Llchtführung in den beiden Hauptteilen der Kirche: wah-
rend im Langhaus das Licht allein in der Gewblbezone
durch relativ große Segmentbogenfenster eindringt,
wobei die Lichtquelle als solche gar nicht richtig erfah-
ren werden kann wegen der Tiefe der Lichtschächte,
wird die Apsis durch große, festlich umrahmte Rund-
bogen (zwei) in eine direkte Lichtfülle getaucht. Die
grundsätzlich gleichen Stuckornamente (Bandelwerk
und Blütengitter, Blattformen) wiederstrahlen in der
Apsis durch ihre Vergoldung das Licht. an der Saal-
decke wurde es durch die Weißgrundierung (ursprüng-
Iich?)diffus verteilt. Es wird noch zu zeigen sein. daß die
Farb- und Lichtinszenierung für die Gesamtinterpreta-
1 Ehemalige Minoritenkirche hl. Johannes
Nepomuk in Stadt TullnlNiederöster-
reich. Außenansicht von Süden
2 Grundrißderehem.MinoritenkircheTulin
mit Einzeichnung der älteren Loreto-
Kapelle und dem Kirchenneubau. 1732
bis 1739 (Architekt Pauli?) 7 (AK 2G IX
1962)
tion des Raums entscheidende Bedeutung haben. Die
Wände des Langhauses sind durch seichte Nischen für
Altäre geöffnet worden. Jede dieser Kapellen ist durch
eine lnschriftkartusche mit einem besonderen Zweck
ausgewiesen worden, einem besonderen Patrozi-
niumf Die Frontflächen des energisch vorspringenden
Diadembogens der Empore sind durch die Malereien
zusammen mit der Kostbarkeit des Brüstungsgitters
(Holz) als Kontrapunkt zur Pracht der Apsis ausgebil-
det." Die beiden Blendbögen an der Westwand des
LanghausesunterderEmporegebenmitihrerdurchlau-
fenden Nutung bereits eine Ankündigung desselben
Architekturelements in der Unterkirche.
Der Neubau der Kirche mit seinem damals sehr moder-
nen Patrozinium zum hl. Johannes Nepomuk; ver-
drängte zwar das alte zu Ehren der Verkündigung an
Maria: man hat diesen Mangel - er mag bei dem gro-
Ben Alter und der Verbindung der Minoritenkirche mit
der StadtTulln recht schwergewogen haben - in zwei-
erlei Weise kompensiert: einmal ist die besondere Ver-
ehrung des hl. Johannes zur Muttergottes aus der Vita
ersichtlich gewesen und wurde auch in den Fresken
einige Male zitiert'"; andererseits erhielt die Muttergot-
tesverehrung nun einen eigenen Bauteil zugewiesen: in
rechtem Winkel schießt unmittelbar an den Emporen-
trakt die Loretokapelle an (Rohziegelbau über einem
Rechteck mit einer ebensolchen Tonne überwölbt)".
an den Türen sind außerdem noch die Verkündigung
und die Heimsuchung nkommemoriertix worden (in holz-
geschnitzten Reliefs)" Der Vorraum zur Loretokapelle
bekam Verteilerfunktion: er führt sowohl zu Einsiedelei
als auch zur Unterkirche. Es würde eine eigene Unter-
suchunglohnen.wieweitbeiderGruppenbildungdieser
insgesamt vier Räumlichkeiten mit jeweils eigenen
liturgisch-kultischen Zwecksetzungen. die aber einen
übergreifenden Zusammenhang nicht ausschließen,
alte Überlieferungen eine Rolle gespielt haben; es
tauchtjadochdieAssoziation der hochmittelalterlichen
Kirchenfamilie auf.
Geradezu überquellend von Verbindungslinien zeigt
sich die Unterkirche. bei der mit der gleichen Berechti-
gung auch der Begriff Gruft anwendbar wird. Halb
unterirdisch erstreckt sie sich in den gleichen Dimen-
sionen wie die Oberkirche, genau unter ihr gelegen.
Architektonischistsiesehrüberlegt ausgebildet. durch-
aus also kein Raum zweiter Kategorie. Sie besitzt drei
Schiffe, das mittlere ist ca. doppelt so breit wie ein Sei-
tenschitf. die Kreuzgratgewölbe werden von sechs qua-
dratischen Pfeilern getragen (auf die durchgehende
Nutung wurde bereits hingewiesen). Diese Binnenglie-
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derung mag teilweise aus strukturellen Gründen not-
wendig gewesen sein, es stimmt aber doch nachdenk-
lich. wenn die Seitenschifte umziehend eine Art
Chorschiuß bilden. wenn dieser Quasi-Chorumgang
auch verschliflen wurde und noch dazu durchdie Liege-
figur des Johannes Nepomuk verstellt worden ist. So
wie es sich bei der Anlage der Loretokapelle um eine
lmitationsarchitektur handelte. so können wir uns hier
erinnern. daß im Prager Veitsdom das Grabmal des
hl. Johannes Nepomuk ebenfalls im Chorumgang
situiert wurde, was ia auch den alten Sinn des Chorum-
ganges überhaupt neu belebt hat.
Weiters wurde das Joch vordem Chorschluß durch das
Thema des Deckenfreskos (das einzige in der Unterkir-
che) besonders ausgezeichnet: ein Papst mit einem
Schriltband: Beati mortui qui in Domino moriuntur"
(Apoc 14. 13), und einem Rundkirchenmodeil . mit aller
Vorsicht kann man von einem wVorchoru sprechen. Eine
flache Nischewgerade nurangedeutet - läßtschiieß-
lich noch an eineChorscheitelkapelledenken, das aller-
dings als Maximaldeutung. Die überlegte und sorgfäl-
tige Erstellung der Unterkirche (der Begriff Gruft ist
insofern ebenfalls berechtigt. als in den beiden Seiten-
schiffen Kolumbarien eingerichtet wurden, deren
einige um die Mitte des 18. Jh.s. also unmittelbar nach
der Fertigstellung, durch Mitglieder des Konvents
belegt worden sind; die Belegungen sind durch Inschrif-
ten ausdrücklich ausgewiesen)" berechtigt zur
Annahme, daß hier eine essentielle Ergänzung zur
Oberkirche konzipiert worden war. Als ein Argument
dafür kann mit großer Gewichtigkeit die kreisförmige
Öffnung hinterdem Hochaitar der Oberkirche herange-
zogen werden: Sorgfältig mit Sandsteinquadern ausge-
mauert. mit einem Schmiedeeisengitter verschlossen,
in der Dimension von ca. 70 cm, akustische, optische
(dasschonweniger)undvorailemfunktionsmäßigeVer-
bindung von Ober- und Unterkirche (die Ausstattung
wirdnoch erweisemdaßvorallem dieletztereintendiert
worden ist). Zwei Fragen können im heutigen Stand der
Forschung (es würden entsprechende Bau- oder
Restaurierungsarbeiten notwendig sein) nicht beant-
wortet werden: entweder ging ein Vorgangerbau dem
heutigen voraus und dieser Vorgänger hat sich in
wesentlich bestimmenden Zügen in derbarocken Adap-
tierung erhalten. dies würde ein sehr großes histori-
sches Verständnis des Konvents bedeuten. Oder (was
allerdings auch nicht ohne eine sehr beachtenswerte
Basismoglichgewesen wareyeinevoliständigeNeuan-
lage wurde errichtet. Auch diese dürfte aber nach unse-
rem Ermessen nicht ganz ohne mittelalterliche Vor-