Nr. 16
INTERNATIONALE SAMMLER - ZEITUNG
Seite 173
VERSTEIGERUNG
der hinterlassenen Sammlung des Herrn
EMIL WEINBERGER
IN WIEN
Frühe italienische und niederländische Bilder, darunter solche von Bernardo
Parentino, Parri di Spinclli, Jacopo da Casentino, Piero della Francesca,
fsenbrandt etc., italienische Cassoni, Tapisserien aus dem 15. Jahrh. Elfen
beinschnitzereien des 13. und 14. Jahrh., italienische Bronzen der Renaissance
(Riccio, Olivieri, Giovanni da Bologna etc.), Gold, Silber, Keramik, Skulpturen
aus Holz, Stein und Ton (Donatello, Robbia, Meister der Johannesstatuetten),
Glas, astronomische Instrumente, Möbel der deutschen u, italienischen Renaissance.
Wien am 22., 23. und 24. Oktober 1929
Auktionsliaus C. J. WAWRA Auktionshaus GLÜCKSELIG
GLo. iM. H. rl.
Wien, III., Lothringerstraße Nr. 14 Wien, IV., Mühlgasse Nr. 28 bis 30
Kunsthändler RICH. LELLNLR
Wien, I., Weihburggasse Nr. 11
Subskriptionspreis für den reidiillustricrten Katalog S 35'—
rechts auf der Fensterbank auch die Spuren eines
oder mehrerer früheren Versuche hindurch; das Bild
war also von dem jungen Maler ursprünglich anders
angelegt. Diese Anfänge wurden verworfen, als der
Jüngling am Ende der Lehre in die Kompositions
geheimnisse und die »Kunst« seines Meisters Martin
Schongauer tiefer eingedrungen war. Mit diesem
Selbstbildnis wollte der Maler M. N. zeigen, was er
in langer ernster Lehre gelernt hatte! Den strengen
Naturalismus des Meisters, dessen Behandlung der
Farben, dessen Kompositionsmethode, dessen Kennt-
in der niederländischen Kunst und des Meisters
Höchstes: sein Kunstgeheimnis, Der Maler des Bild
nisses M. N. ist also ein Maler und dazu ein Kon
strukteur im Sinne der Hüttenmystik, ein Meister,
der den Pinsel und den Zirkel führt. Wenn wir die
Auflösung des Monogrammes M. N. suchen, werden
unsere Beobachtungen diese beiden Eigenschaften
im Auge behalten müssen. Man hat sich inzwischen
daran gewöhnt, für den nicht existierenden Matthias
Grünewald die historische Persönlichkeit des Würz
burgers Matthias Neithardt zu setzen, der im späte
ren Leben sich Gothardt nannte, deshalb M. G. N,
schrieb.
Gewiß erhält die Auffassung der deutschen
Kunst um 1500 einen kleinen Stoß, wenn nachge
wiesen wird, daß der Meister des Isenheimer Altares
nicht mehr als jugendlicher Feuerkopf (St. Sebastian),
sondern als reifer besinnlicher Mann (Erlanger
Selbstbildnis mit der Reißfeder) zu betrachten ist,
dem besondere chemische Kenntnisse für seine Far
ben, wie die geheimen Proportionsgesetze der Hüt
tenkunst zu Gebote standen; wenn klar vor Augen
liegt, daß das Leben dieses deutschen Leonardo sich
ablöste in die Arbeit mit dem Pinsel und Arbeit mit
dem Zirkel. Schon in Aschaffenburg konstruierte der
Maler kunstvolle Mühlwerke, Wasserleitungen,
Pumpwerke für Bergbau und leitete Schloßbauten.
Erst seine Tätigkeit für den Kardinal drängte diese
technische Seite seines Wesens in den Hintergrund.
Als aber 1526 der Kardinal von dem Lutheraner die
Hand fortzog, endete Matthias Neidhardt, den man
Grünewald nannte, als Wasserkunstmacher in Halle.
Die Buchstaben M. N. in ungewöhnlichen lateinischen
Charakteren befinden sich rechts oben auf dem
Fenstersturz. Kein anderer als Matthias Neithardt
hat sich in dem Bildnis M. N. dargestellt. Daß der
Neunzehnjährige in der Werkstatt des Meisters um
1480 noch nicht malte, wie der uns stilistisch fest
stehende reife »Grünewald«, befremdet nicht. Die
höchste Auszeichnung für einen Gesellen der Gotik
bestand darin, sich so in das Werk und die Art
seines Meisters einzuleben, daß der heutige Forscher
die Gehilfenhand im Werke des Meisters kaum er
kennt, weil künstlerische Subjektivität des Gehilfen
in der gotischen Werkstatt keinen Raum hatte.