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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1874 / 100)

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finden, Künstlerisches zur Erklärung herbeizuziehen und durch die Anschauung 
die Wirkung des gegebenen Wortes zu beleben; und zwar gilt dies in dem- 
selben Grade wie von den alten Classikern, bei welchen darüber kein Zweifel 
ist, auch von den modernen. Dies zu betonen ist namentlich deswegen von 
XVichtigkeit, weil nur auf diese Weise auch für die Realschuleu und die 
lllädchenlehranstalten, denen eine nennenswerthe, umfassende und eingehende 
Beschäftigung mit den alten Classikern unmöglich ist, die Belebung und Nutz- 
barmachung der Lectüre durchknnstgeschichtliches Material gerettet wird. Wenn 
bei ihnen einmal ohne die breite Basis der Alterthumskunde, wesentlich auf 
der Grundlage einer Kenntniss der modernen Welt, ein leidlicher Bau einer 
allgemeinen Bildung aufgebaut werden soll, so ist es zum mindesten erforder- 
lich, dass ihnen das Wesen und die Eigenthümlichkeiten der modernen Welt, 
die Culturideale der verschiedenen aufeinander folgenden Epochen so umfassend 
wie möglich bekannt werden, und sie auch von der Erscheinungsweise dieser 
Welt, von dem Formengefühl und den Darstellungskreisen derselben eine gründ- 
liche Anschauung bekommen. 
Natürlicherweise verbindet sich ganz ebenso wie mit der Lectüre fremder 
Schriftsteller auch mit derjenigen der deutschen das kunstwissenschaftliche 
Element, und es wäre ein arger MissgrilT, aus dem Unterrichte in der Mutter- 
sprache, der, wenn auch nicht durch die Menge der aufgewandten Zeit, so doch 
wegen seines unmittelbaren Zusammenhanges mit der Charakterentwickelung 
und dem nationalen Bewusstsein des zu Erziehenden den Grundton seiner all- 
meinen Bildung bestimmt, das künstlerische Element der Anschauung zu eli- 
miniren. 
Auf das allerentschicdenste aber mochte ich mich gegen die vorgeschlagene 
Verquickung des Aesthetischen mit dem deutschen Unterrichte, wie sie in dem 
Eggerschen Buche versucht ist, aussprechen. Ich kann gar nicht mit mir einig 
werden, wo sein Buch überhaupt gebraucht werden soll; es ist meiner Ansicht 
nach entweder zu hoch oder zu niedrig: das Erstere, wenn man seine Be- 
nützung dahin verweist, wohin seine Form gehört, in die Mittelclassen, in 
welchen Anthologien, die kurze, mustergiltig geschriebene und inhaltlich lehr- 
reiche Stücke enthalten, gelesen werden, _ das Letztere, wenn man es da an- 
wenden will, wo für seinen Inhalt allenfalls ein Verständniss vorausgesetzt 
werden kann, in der Prima, wo aber unzweifelhaft seine Form, wenn sie nicht 
den Widerwillen der Schüler erregt (was ich als ein gutes Zeichen für den 
Standpunkt der Classe bezeichnen müsste), aufs vortrefflichste geeignet wäre, 
gerade das zu hintertreiben, was durch die Beschäftigung mit künstlerischen 
Dingen erreicht werden soll, nämlich die Schüler daran zu gewöhnen, die Dinge 
als Ganzes zu erfassen. Ein Primaner, wenn er richtig vorgebildet ist, soll 
keinen Geschmack daran finden, mit Brocken abgespeist zu werden, sondern 
er muss Werke, nicht aus dem Zusammenhange gerissene Stellen zu lesen 
bekommen. - 
Zugleich ist gegen Egger's Buch noch das einzuwenden, dass es unsere 
Unterabtheilurig d), die vorher im Sinne der Commission bereits verneinte 
Frage, ob der kunstwissenschaftliche Unterricht etwa in selbständiger Weise 
auf den Mittelschulen zu betreiben sei, in entgegengesetzter Weise präju- 
dicirt, insofern als bei Acceptirung seiner Methode ein grosser Theil des 
deutschen Unterrichtes - die Lectüre - dazu benutzt werden müsste und 
würde, eine Art von systematischem Lehrgebäude der Kunstwissenschaft den 
Schülern als ständigen Lehrgegenstand zu übertragen. Ich glaube daher, dass 
gerade von einer Berücksichtigung dieses Versuches zur Lösung unserer kunst- 
wissenschaftlichen Unterrichtsfrage am allerwenigsten Heil für die Zukunft zu 
erwarten und demselben unsererseits kein günstiges Zeugniss auszustellen ist.
	        
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