Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: Norbert Ehrlich
22. Jahrgang Wien, 1. Februar 1930 Nr. 3
Die Cansdowne-Sammlung antiker Jfiarmorstatuen.
Eine Sensationsauktion in London.
Man schreibt uns aus London:
Der Monat Jänner verlief ziemlich ruhig auf
dem englischen Kunstmarkt. Wohl fehlte es nicht
an Versteigerungen, allein sie hatten wenig mehr als
lokales Interesse und. lockten auch wenige Fremde
in die Themisestadt. Auch der Februar verheißt noch
nichts Auf regendes. Die erste Auktion von inter
nationaler Bedeutung wird wohl die der antiken
Marmor - Statuen von La nsdowne-
House sein, die das Auktionshaus Chris.tie,
Manson & Woods am 5. März veranstaltet.
Die Statuen von Lansdowne - Hause unter dem
Hammer! Ein heiliger Schauer ergreift einen bei
dieser Nachricht: Eine Sammlung wird aufgelöst, die
einzig in der Welt ist. Die 118 Stücke, aus denen
sie besteht, sind in den Sechzigerjahren des acht
zehnten Jahrhunderts von Gavin Hamilton in
der Villa des Kaisers Hadrian in Rom ausge
graben und bis zum Jahre 1784 an William Shel-
bourne and first Marques of Lansdowne ver
kauft worden. Der Briefwechsel, der diesem Handel
vorausging, ist noch zur Gänze erhalten, die Sum
men, die für jedes einzelne Stück erlegt wurden,
sind genau darin vermerkt.
Fast alle Stücke dieser Sammlung wurden von
deutschen Forschern bereits in irgend einem Werke
beschrieben. Wer kennt nicht Waagens Werk
„Kunstägrhatze in England"? Wer, der für Statuen
etwas übrig hat, hätte nicht die einschlägigen Werke
Brauns und Michaelis studiert? Wie Micha
elis diese Sammlung beurteilt, dafür nur eine Stelle
aus seinem Werke über ,Antike Marmorstatuen in
England". Er schreibt: „Die Antikensammking in
Lansdownehaus, ehemals Shelbourne-House, ist eine
der schönsten und wertvollsten in ganz England.“
Infolge der großen Literatur über diese Kunst
schätze ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß sich
in Lansdowne Houise am Berikely Square — Christie
nimmt nämlich die Auktion an Ort und Stelle vor,
um den Reiz der Intimität der Sammlung voll auf
die Interessenten wirken zu lassen — Liebhaber aus
aller Herren Länder Rendezvous geben werden.
Im Jahre 1889 hat Michaelis auch einen Katalog
dieser Sammlung bei Smith drucken lassen, auf
dein -der jetzt herausgegebene Versteigerungskatalog
basiert. Es ist natürlich auch kein Zufall, daß dieser
Katalog gebunden erschienen ist: Christie, der sonst
nicht die in Deutschland und Oesterreich eingelebte
Mode der kostspieligen Kataloge mitmacht, hat
diesem eine besondere Ausstattung gegeben, um
den besonderen Charakter der Sammlung augenfällig
zu machen.
Die Sammlung von Lansdowne - House enthält
eine ganze Anzahl von Stücken aus dem V. und IV.
Jahrhundert vor Christi Geburt. Das interessanteste
Stück der Sammlung ist eine Antike, die dem größ
ten Maler Griechenlands, Polygnet, zugeschrie
ben wird. Löwy, der große Wiener Archäologe,
der ein Werk über Polygnet schrieb, tut in dem
selben dieser Plastik bereits Erwähnung.
Von hervorragendem Interesse sind die präch
tigen Reliefs aus Marmor oder Basalt, unter denen
ein römisches Grabrelief mit vier ausdrucksvollen
Porträts hervorragt. Es stammt aus dem IV. Jahr
hundert vor Christi. Prächtig ist die Statue des
Chris tob olo*s nach M y r o n, aus parischem Marmor,
5 Fuß, 4 Zoll hoch, deren Bewegung mit drastischer
Treue erfaßt ist. — Von Lysippus stammt ein
Herkules mit der Keule, 6 Fuß, 7 Zoll hoch, für die
Shelbourne vor nicht weniger als 140 Jahren tau
send Pf u n d gezahlt bat. Aus dem vierten Jahr
hundert vor Christi stammt auch eine Statue der
Artemis aus pentelischem Marmor. Dem V. Jahr
hundert wieder gehört ein Hermes mit aufgestütztem
Fuß an, der sieh der Art des Praxiteles stark nähert.
Auf P o 1 y k 1 e t geht die verwundete Amazone zu
rück. Der Diskuswerfer in parischem Marmor ist
nach M y r o n gearbeitet und das interessante Relief,
das Homer, die Ilias vortragend, darstellt, ist dem
IV. Jahrhundert zugeschrleben.
Eine Anzahl von ägyptischen Basaltstatuen, die
in dem Privatkatalog und dem Werke des Pro
fessors Michaelis nicht angeführt sind, wurden
gleichwohl schon zur Zeit der Gründung der Samm
lung beigefügt, aber in den zwei Werken nicht er
wähnt, da Professor Michaelis der Meinung war, er
würde die Einheitlichkeit des Werkes durch die Er
wähnung anderer als griechischer und römischer
Provenienz stören.
Ein nur 24 Zoll hohes, aber ganz besonders be
deutendes Werk darf nicht übersehen werden: Es
ist eine kleine Hermes-Statue mit Hut auf dem Kopf,
aus pentelischem Marmor, auf Granitsockel mit
Porphyrbasis, Das Werkchen wurde bei der Aus-