Nr. 9
INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG
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«JKostbarkeiten
der „VDipa“.
Die Briefmarkensammler werden ihre kühnsten
Wünsche erfüllt sehen, wenn die „W ipa", die Wie
ner internationale Postwertzeichenausstellung, am
24. Juni ihre Tore öffnen wird. Diese Ausstellung,
die auf dem Gebiete der Philatelie die umfangreich
ste seit Bestehen der Briefmarke überhaupt sein
wird, wird im Künstlerhaus, in der Sezession und im
Militärkasino untergebracht sein. Die von einem
eigenen Bewachungskorps behüteten Ausstellungs
objekte repräsentieren einen Wert von etwa 60 Mil
lionen Schilling. An erster Stelle prangt die Mau
ritiusmarke, die allein schon 100.000 S wert ist
Sie erscheint in blauer und roter Ausgabe; die
Eigentümer, ein Amerikaner und ein Franzose, haben
telegraphisch schon alle Vorbereitungen getroffen,
damit ihre Schätze, die außerhalb von Versicherungs
möglichkeiten stehen, mittels Panzertresors und an
deren Vorsichtsmaßregeln nicht der Gefahr eines un
freiwilligen Besitzerwechsels ausgesetzt sind.
Kostbare Kuriosa werden ferner berühmte
Briefmarkenfälschungen sein. Daran
knüpft sich auch ein eigenartiges Preisaus
schreiben : Auf zwei Tafeln wird man je 24 echte
und eine gefälschte, und umgekehrt, 24 gefälschte
und eine echte Marke sehen; wer die echten von den
falschen Marken unterscheidet, kann 500 S gewinnen.
Eine interessante Darstellung des Briefmarkendruk-
kes vor achtzig Jahren wird die österreichische
Staatsdruckerei bieten, die vor den Augen des Pu
blikums Mustermarken von den Original-
stöckeln der Merkur marken hersteilen
wird. Jeder Besucher kann zum Andenken einen
solchen Bogen bekommen.
Die Ausstellung, die in drei Sprachen katalogi
siert ist, begegnet im Auslande größtem Interesse.
Im ganzen haben sich bereits vierzig verschiedene
Staaten gemeldet, Oesterreich allein ist mit
etwa 5000 Sammlern vertreten.
Die Postverwaltung gibt als Sondermarke einen
Wert von 50 g aus, der zum Preise von 1 S ver
kauft werden wird. Obwohl eine Auflage von 100.000
Stück hergestellt wird, wird jeder Besucher der
„Wipa“ auf seine Eintrittskarte nur e i n Stück er
halten. Könnte man nicht mehr als 100.000 Stück
ausgeben? Der Staat hat ja nur Vorteil davon, wenn
mehr Exemplare abgesetzt werden. Oder besorgt
man, daß die 100.000 Stück schwer anbringiich sein
werden, Wir glauben, eine solche Besorgnis wäre
unbegründet.
J%um 100. Seburtstage Johannes J3rahms.
Aus Anlaß des 100. Geburtstages Johannes
Brahms' hat das Antiquariat Leo Liepmanns-
sohn in Berlin in einem Katalog seine Bestände
an Brahms-Literatur zusammengefaßt. 291 Nummern
sind es geworden, unter denen die Autographen
naturgemäß dominieren.
In dem Abschnitt ,,Brahms und sein Kreis“ fin
den wir den interessanten Briefwechsel zwischen
Brahms und Hermann L e v i, die uns über die Per
sönlichkeit des Parsifal-Dirigenten einen beinahe um
fassenden Aufschluß geben. Die feine Geisteskultur
Levis, seine Begeisterungsfähigkeit, sein zartes Emp
finden Natur, Kunst und Menschen gegenüber, sie
tun sich auf jeder Seite kund. Zum anderen beruht
der Wert dieser Korrespondenz in den Beiträgen, die
sie zu dem biographischen Material liefert. Wir er
fahren aus ihr nicht nur manche, sonst nicht über
lieferte Tatsachen, Erlebnisse und Meinungen, wir
dürfen auch — wenngleich nur verstohlen — hie und
da einen Blick in die Werkstätte des Musikers tun.
Und drittens endlich erschließen diese Briefe das
Verständnis für das, was man die künstlerische
Wandlung bei Hermann Levi genannt hat. Die ihm
nicht näher gestanden sind, werden — mehr noch,
als durch die Reverenzen, die Brahms gelegentlich
dem Bayreuther Meister macht — über die An
schauungen und Bekenntnisse des der großen Welt
nur als Wagner-Dirigent bekannten Musikers stau
nen ....
Sehr interessant ist auch der Briefwechsel zwi
schen Brahms und Wagner, der sich allerdings nur
auf drei Briefe beschränkt, zwei von Brahms und
einen von Wagner. Der Bayreuther Meister hatte das
Manuskript der von ihm 1861 umgearbeiteten zweiten
Szene des „Tannhäuser“ Peter Cornelius „zur
Aufbewahrung“ übergeben. Dieser aber, der die
Handschrift als ein „Geschenk" betrachtete, schenkte |
sie weiter an Brahms, der sie als liebes Andenken
aufhob. Viele Jahre später erhielt Brahms plötzlich
ein Schreiben von Wagner mit der Bitte, ihm das
Manuskript, das er zur Neubearbeitung der Partitur
benötige, zurückzustellen, Wagner betonte, daß er
das Manuskript nie Cornelius geschenkt habe und
fügte bei „Es wird keinerlei Auseinandersetzung be
dürfen, Sie zu bestimmen, dieses Manuskript, wel
ches Ihnen nur als Kuriosität von Wert sein kann,
während es meinem Sohne als teures Andenken ver
bleiben könnte, ,,. zurückzusenden,“
Brahms erwiderte, daß er nur das eine empfinde,
„es sei mir nur der Besitz Ihrer Handschrift nicht
vergönnt. . . Ihrem Sohn kann doch — gegenüber
der großen Summe Ihrer Arbeiten — der Besitz
dieser Szene nicht so wertvoll sein, wie mir, der ich,
ohne eigentlich Sammler zu sein, doch gerne Hand
schriften, die mir wert sind, bewahre. Kuriositäten
sammle ich nicht. . . Die Auseinandersetzungen über
den Besitzanspruch mag ich nicht fortsetzen.“ Er
möchte weiter auf Wagners Brief eingehen und
fürchtet Mißverständnisse „ . . . denn, wenn Sie er
lauben, das Sprichwort vom Kirschenessen ist wohl
nicht besser angewandt, als bei unsereinem Ihnen
gegenüber. Möglicherweise ist es Ihnen nun ganz
angenehm, wenn ich nicht mehr glauben darf, Ihnen
etwas geschenkt zu haben. Für diesen Fall nun sage
ich, daß es mich sehr erfreuen würde, wenn meine
Bibliothek durch eines mehr Ihrer Werke, etwa die
Meistersinger, bereichert würde ..."
Wagner bekam einen Wutanfall beim Empfang
dieses Briefes. Er soll ausgerufen haben: Wenn mir
so ein Advokat schreibt — aber ein Künstler! Als
er ruhiger geworden war, schickte er Brahms die
Partitur des „Rheingold“ als „wohlkonditionierter
Ersatz für ein garstiges Manuskript,“ Brahms be-
| dankte sich für das „prachtvolle Geschenk“ den