Nr. 16/16
INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG
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Die ältesten biblischen JCandschriften.
In einer Versammlung des Wiener Altertums
vereines ,,Eranos Vindobonensis" machte der Leiter
der Handschriftensammlung der Nationalbibliothek in
Wien Prof. Hans Gerstinger Mitteilung von auf
sehenerregenden Papyrusfunden, die die älte
sten Bibeltexte sowie unbekannte klassische Dich
tungen darstellen.
Vor mehreren Monaten boten ägyptische Händ
ler dem Wiener Universitätsprofessor und Leiter des
deutschen archäologischen Institutes in Kairo, Prof.
Hermann Junker, uralte Papyrusfragmente zum
Kaufe an, die der Gelehrte nach einer ersten flüch
tigen Ueberpriifung als altchristliche Bibel
texte erkannte. Da die Händler äußerten, daß noch
eine größere Anzahl gut erhaltener Blätter existiert,
bemüht sich Prof. Junker, auch diese zu erhalten,
doch kam ihm hiebei der berühmte englische Histo
riker Chester Beat t y zuvor, der die Fragmente
um einen phantastischen Preis — man spricht von
720,000 S — für die königlich britischen Sammlun
gen erwarb,
Die durch Prof. Junker der Wiener National
bibliothek übermittelten Funde gliedern sich in
Evangeldenfragmente und Bruchstücke altgriechischer
Dichtungen. Die Bibelfragmente, zusammen 19 0
Blätter, geben Stellen aus dem! Alten und Neuen
Testament, sowie Abschnitte des Matthäus-Evange
liums wieder. Eine Rolle enthält sogar Teile aus den
Paulus-Briefen im. urchristlichen Text.
Die Schriften stammen aus dem zweiten Jahr
hundert nach Christus und stellen die ältesten
bisher bekannten bi b 1 i s c h e n Hand
schriften dar. Einige Kapitel lassen erkennen,
daß die „Kanonisierung", das heißt die Feststellung
des geltenden Textes, die man bisher auf das dritte
christliche Jahrhundert datierte, anscheinend schon
in der urchristlichen Zeit durchgeführt wurde. Die
von den ägyptischen Händlern erworbenen Schriften
Jluktionspause
Die Leitung des Dorotheumis in Wien hat
aus besonderer Rücksichtnahme auf diesbezügliche
Wünsche des Handels- und 1 Gewerbestandes für die
ses Jahr aus eigenem den Beschluß gefaßt, in der
Zeit vom 5. bis 31. Dezember keine frei
willigen Kunst- und Pretiosenversteigerungen zu
veranstalten. Die übrigen Versteigerungen, sowie
die Zwangsverkäufe von verfallenen Pfandposten
werden dadurch nicht berührt. Bezüglich der P r i-
v a t-A uktio ns Unternehmungen wird eine
inhaltlich gleiche V erfügung von Seite des Bun
desministeriums für Handel und Verkehr im Ver
ordnungswege ergehen, so daß in der ange
gebenen Zeit auch von privaten Auktionsfirmen in
Wien keine Versteigerungen abgehalten werden
können.
Damit wird ein alter Wunsch der Antiquitäten-
und Kunsthändler erfüllt, die die Versteigerungen
knapp vor Weihnachten als eine starke Beeinträch
tigung des Weihnachtsgeschäftes empfanden. Vor
über das Alte Testament stimmen im Text mit spä
teren Funden genau überein, doch läßt die Schreib
art und das Papier erkennen, daß sie vermutlich aus
dem ersten Jahrhundert nach dem: Entstehen der
Evangelien stammen.
Die neuen Papyrusfunde sind auch für die Ge
schichte des Buches von größter Bedeutung, Die
Fragmente sind nämlich nicht einzelne Rollen, son
dern sogenannte „Codices", die in Buchform 1 zu-sam-
mengeheftet sind, so daß die Buchform, als Er
zeugnis christlicher Kreise des zweiten Jahrhunderts
erwiesen erscheint. Ueber den Fundort der seltenen
Handschriften selbst wurde in Erfahrung gebracht,
daß die Fragmente vermutlich in einem Tonkrug
verwahrt waren, der in einem urchristlichen
ägyptischen Klos-t er vergraben war. Die
Gelehrten mutmaßen, daß die Schriften, als das Pa
pier schadhaft wurde, wegen ihres heiligen Inhaltes
in aller Form begraben wurden, um nicht in unwür
diger Weise der Vernichtung preisgegeben zu sein.
Nach den Ausführungen Prof. Gerstingers, der
den Text der Wiener Fragmente in der Zeitschrift
„Aegyptus" veröffentlichte, stellen jene Päpyrus-
bücher, die Fragmente altgriechischer
Poesie beinhalten, Bruchstücke des in der Antike
sehr bekannten Gedichtes „Die Spindel“ der Dich
terin E r r i n a dar, welches Gedicht bis auf den
Titel verloren war. Der in der Wiener National
bibliothek befindliche Papyrus berichtet über die
T otenklage der später selber jung im 19. Le
bensjahr verstorbenen Dichterin über den Hingang
ihrer Jugendfreundin, Ein. zweites Manuskript ent
hält unbekannte Texte aus Theokrit und ein
Fragment der Urfassung des Gedichtes „Die Locke
der Perenike", das bisher nur in lateinischer Ueflber-
setzung bekannt war. Besonderes Interesse bean
sprucht schließlich ein Papyrus, der Schriften des
altgriechischen Philosophen Phavorinus enthält.
im Dezember.
einigen Jahren ist zwischen der Vereinigung der
Antiquitäten- und Kunsthändler und den Auktions
firmen eine Vereinbarung 'in diesem Sinne zustande
gekommen, doch wurde diese nicht lange eingehalten.
Die Folge dieser gesetzlichen Regelung ist, daß
sich die Auktionen, die sich sonst auf einen oder
zwei Monate verteilen, in den Zeitraum von drei
Wochen zusammendrängem So veranstaltet das
Dorotheum in der zweiten Novemberhälfte noch
zwei Versteigerungen, die eine, wie schon ange
kündigt, am 14., 16, und 17, November, die zweite
vom 28. bis 30. November.
Ueber die erste Auktion informiert ein sehr
hübsch ausgestatteter Katalog, der 623 Nummern be
schreibt. Den Hauptbestand bilden Gemälde
alter und neuer Meister,
Schon die erste Nummer erhebt Anspruch auf
Beachtung: es ist ein ,;Gekreu ! zigter in der Land
schaft", der von Prof. Eigenberger Altdorfer zu
gewiesen wird. Nach Ansicht von Dörnhöffer und