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INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG 
Nr. 12 
der Zeit, die alles Transzendente, Irrationale und 
Harmonisch in-sich--Ruhende verkommen läßt, alles 
dies durch technische Vervollkommnung und ratio 
nalistische Mythenbildung zu ersetzen versucht, alle 
Kultur in einer überdimensionierten Zivilisation er 
tränkt, werden es einem solchen Wunder immer 
schwieriger und schwieriger machen zu geschehen. 
Wir werden uns vorläufig mit dem Beispiel des Herrn 
von Münchhausen begnügen müssen, der sich als 
bisher erster und letzter an den eigenen Haaren 
aus dem Dreck gezogen hat. 
Das Verhältnis des Malers zu Bildern fernerer 
und näherer Vergangenheit (auch zu einem Bild, das 
er oder ein anderer vielleicht erst gestern fertig 
malte), ist einfach und ganz unproblematisch. 
Er findet sie gut oder schlecht. Er weiß, 
was an ihnen schlecht und merkt sich, was an 
ihnen gut ist. Es fallen mir zwei Aussprüche ein, 
die ich als typische Zeugnisse für dieses Verhältnis 
zitieren will: Ich war mit einem Kollegen, dem Ma 
ler poetisch biedermeierischer, aber andachtsvoll ge 
malter Bilder in der Liechtenstein-Galerie. Als wir 
beim Verlassen der Sammlung vor dem Tor stehen 
blieben, um uns wieder an die ungesammelte Außen 1 
weit zu gewöhnen, sagte er, seine Verwirrung per 
siflierend: „Gute Bilder — böse Sache!“ Ein an 
derer Maler, — nicht ohne Recht selbstbewußt und 
trostbedürftig, — faßte nach einem Spaziergang durch 
das Kunsthistorische Museum seinen Eindruck in 
die Worte zusammen: „Ziemlich viel Mist beisam 
men.“ 
Die Zeit, in welcher man an Kaffeehaustischen, 
in Ausstellungen und in den Lehrsälen der Akade 
mien die Verbrennung der Museen und die Schlie 
ßung der Akademien forderte, ist noch nicht sein- 
weit hinter uns. Inzwischen ist man ruhiger geworden 
und findet, daß man vielleicht nicht gerade an den 
Akademien, aber zumindest in den- Museen viel ler 
nen kann. Und lernen ist für den Maler, — Tizian und 
Hokusai, die beiden 99jährigen haben es gewußt, — 
nicht nur eine Forderung des Verstandes, sondern 
die Notwendigkeit des Lebens. Der genügsame Di 
lettant oder die verworrene „Urbegabung“ mögen 
darüber anders denken. Eine Bombe explodiert und 
richtet Verwüstung an; zu etwas Besserem taugt sie 
nicht. Unlängst gab es kurze Zeitperioden, in wel 
chen die Kunst die Verpflichtung in sich fühlte, 
Bombe zu sein und man soll und muß dieser Zeit 
die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie im 
Recht war, weil sie nichts Besseres zu tun hatte, 
als nebst vielen wertvollen Dingen, die sie ver 
schütten, aber nicht vernichten konnte, noch mehr 
Wertloses und Wertfeindliches in die Luft fliegen 
zu lassen. Manches vom Verschütteten ist, umso höher 
geschätzt, wieder ausgegraben und manches vom Zer 
sprengten fällt uns erst jetzt auf die Köpfe. Aber 
wir haben uns inzwischen in allen ausgetragenen 
künstlerischen Kämpfen an Schläge gewöhnt und so 
gar gelernt, ohne Furcht in Museen zu gehen. 
Michelangelo mußte noch, um seinen Wert vor 
den Zeitgenossen zu erweisen, eines seiner Werke 
als antike Skulptur ein- und ausgraben. Sein höchster 
Ehrgeiz war aber, sich vor sich selbst mit den 
Bildhauern der Antike gleichwertig zu erweisen. Er 
dachte nicht daran mehr zu sein, indem er nur 
er selbst sein ■wollte. Der Eklektiker Raffael fühlte 
sich als Genie, weil er alle Elemente seiner Kunst 
zumindest im gleichen Maße zu beherrschen glaubte, 
wie irgendeiner seiner Zeit- und Künstlergenossen. 
Beide haben sich über die individualistischen Ten 
denzen der Renaissance nicht die Köpfe zerbrochen 
und ihre Kunst, — ob sie ganz auf die Gewalt der 
Persönlichkeit oder ganz auf die Harmonie formaler 
Meisterschaft -gegründet gewesen sein mag, — ent 
hielt stets genug Zeitloses, um ihre eigene Zeit 
lebendig zu überdauern. Das Malerbuch des Leonar 
do, die Tagebücher Delacroix, die Briefe Mareös und 
Van Goghs beschäftigten sich vorwiegend mit 
den Fragen des Handwerks, mit den Mitteln, die dazu 
dienen, dem Gegenstand des Werkes gerecht zu wer 
den und, wie alle anderen schriftlichen Aeußerungen 
von Malern, setzen sie den sittlichen und geistigen 
Wert des Gegenstandes, die künstlerische, mensch- 
beitliche und nationale Zuständigkeit dieses Wertes 
als Selbstverständlichkeit voraus. 
In einer solchen Schaffensathmosphäre scheint die 
noch immer so aktuell gehaltene Streitfrage um das 
Was und das Wie gänzlich überflüssig. Es gibt kein Pro 
blem des Gesetzes zwischen Naturgebundenheit und Stil, 
ln der Kunst ist Natur und Stil zur Einheit verschmol 
zen und diese Einheit ist die wahre Natur der Kunst. 
Große Kunst hatten aber nur die Zeiten, denen eine 
einheitliche geistige Haltung ermöglicht hat, alle 
Elemente, Voraussetzungen und Bedingungen künst 
lerischer Gestaltung als Einheit zu empfinden und 
zu gebrauchen und die somit auch fähig waren, 
diese ihre eigene Zeit künstlerisch zu durchdringen 
und auszuschöpfen. Alle Problematik und aller Streit 
um Richtungen, alles Klagen über die künstlerische 
Sterilität unserer Zeit ist also die Problematik einer 
Zeit, die ihrer ganzen Haltung nach künstlerisch 
undurebdringbar und der Gestaltung nur dann zu 
gänglich ist, wenn sie sich hiebei zeitgemäßer Mit 
tel bedient. So mag es erklärlich sein, daß dieser 
Zeit am ehesten das Plakat als künstlerischer Aus 
druck adäquat ist, wobei der Begriff des Plakates 
nicht auf den Papierfetzen beschränkt werden muß, 
den wir als solches zu bezeichnen gewohnt sind. 
Plakat ist jedes scheinbare Kunstwerk, das für sich 
selbst, für seinen Gegenstand und für seinen Her 
steller, Reklame machen will, statt Ausdruck einer 
echten Persönlichkeit zu sein, Dokument der Origi 
nalitätssucht ist, statt Symbolschrift für ewige W r erte 
zu bleiben, Forderungen des Tages erfüllt oder ar 
tistisch genügsam die Mittel zum Selbstzweck erhebt. 
Bilder waren immer dazu da, dem Menschen 
seine Transzendenz mit sinnlichen Mitteln erlebbar 
zu machen. Die Produkte der Ratio, das Kino, das 
Radio, die Fakturiermaschine und das Maschinen 
gewehr kennen keine Transzendenz, daher kann ihnen 
und allen ihren Verwandten, soferne sie bildhaft 
veranschaulicht werden sollen, (und das wollen sie, 
denn die Masse denkt, wenn sie denkt in Bildern), 
nur noch der Photoapparat gerecht werden. Die 
Menschen die ein „gutes Photo“ einem „problema 
tischen Porträt“ vorziehen, werden immer zahlreicher 
sie sind Menschen ihrer Zeit, für alle Zeiten ver 
loren. Sie kommen auch als Museumsbesucher nicht, 
geschweige denn als Sammler in Betracht, es sei 
denn, die Dynamik eines Touristenprogramms läßt 
sie sich in eine unfruchtbare Baedekeriade verirren. 
Dabei mögen sie auf verhungert und fanatisch aus 
sehende Gestalten stoßen, die komischerweise fähig 
sind, noch immer vor dem gleichen Bild zu stehen, 
vor welchem man sic schon am Beginn der Ex 
kursion verloren stehen sehen konnte. Maler sind 
heutzutage, hoffentlich nicht die einzigen, aber sicher 
lich die echtesten Besucher der Museen. Sie sind 
cs, die Bilder wirklich erleben, die vor einem gu 
ten Bild ihr Dasein erhöht fühlen und - die an
	        
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