Seite 126
INTERNATIONALE SAMMLER-ZEITUNG
Nr. 12
der Zeit, die alles Transzendente, Irrationale und
Harmonisch in-sich--Ruhende verkommen läßt, alles
dies durch technische Vervollkommnung und ratio
nalistische Mythenbildung zu ersetzen versucht, alle
Kultur in einer überdimensionierten Zivilisation er
tränkt, werden es einem solchen Wunder immer
schwieriger und schwieriger machen zu geschehen.
Wir werden uns vorläufig mit dem Beispiel des Herrn
von Münchhausen begnügen müssen, der sich als
bisher erster und letzter an den eigenen Haaren
aus dem Dreck gezogen hat.
Das Verhältnis des Malers zu Bildern fernerer
und näherer Vergangenheit (auch zu einem Bild, das
er oder ein anderer vielleicht erst gestern fertig
malte), ist einfach und ganz unproblematisch.
Er findet sie gut oder schlecht. Er weiß,
was an ihnen schlecht und merkt sich, was an
ihnen gut ist. Es fallen mir zwei Aussprüche ein,
die ich als typische Zeugnisse für dieses Verhältnis
zitieren will: Ich war mit einem Kollegen, dem Ma
ler poetisch biedermeierischer, aber andachtsvoll ge
malter Bilder in der Liechtenstein-Galerie. Als wir
beim Verlassen der Sammlung vor dem Tor stehen
blieben, um uns wieder an die ungesammelte Außen 1
weit zu gewöhnen, sagte er, seine Verwirrung per
siflierend: „Gute Bilder — böse Sache!“ Ein an
derer Maler, — nicht ohne Recht selbstbewußt und
trostbedürftig, — faßte nach einem Spaziergang durch
das Kunsthistorische Museum seinen Eindruck in
die Worte zusammen: „Ziemlich viel Mist beisam
men.“
Die Zeit, in welcher man an Kaffeehaustischen,
in Ausstellungen und in den Lehrsälen der Akade
mien die Verbrennung der Museen und die Schlie
ßung der Akademien forderte, ist noch nicht sein-
weit hinter uns. Inzwischen ist man ruhiger geworden
und findet, daß man vielleicht nicht gerade an den
Akademien, aber zumindest in den- Museen viel ler
nen kann. Und lernen ist für den Maler, — Tizian und
Hokusai, die beiden 99jährigen haben es gewußt, —
nicht nur eine Forderung des Verstandes, sondern
die Notwendigkeit des Lebens. Der genügsame Di
lettant oder die verworrene „Urbegabung“ mögen
darüber anders denken. Eine Bombe explodiert und
richtet Verwüstung an; zu etwas Besserem taugt sie
nicht. Unlängst gab es kurze Zeitperioden, in wel
chen die Kunst die Verpflichtung in sich fühlte,
Bombe zu sein und man soll und muß dieser Zeit
die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie im
Recht war, weil sie nichts Besseres zu tun hatte,
als nebst vielen wertvollen Dingen, die sie ver
schütten, aber nicht vernichten konnte, noch mehr
Wertloses und Wertfeindliches in die Luft fliegen
zu lassen. Manches vom Verschütteten ist, umso höher
geschätzt, wieder ausgegraben und manches vom Zer
sprengten fällt uns erst jetzt auf die Köpfe. Aber
wir haben uns inzwischen in allen ausgetragenen
künstlerischen Kämpfen an Schläge gewöhnt und so
gar gelernt, ohne Furcht in Museen zu gehen.
Michelangelo mußte noch, um seinen Wert vor
den Zeitgenossen zu erweisen, eines seiner Werke
als antike Skulptur ein- und ausgraben. Sein höchster
Ehrgeiz war aber, sich vor sich selbst mit den
Bildhauern der Antike gleichwertig zu erweisen. Er
dachte nicht daran mehr zu sein, indem er nur
er selbst sein ■wollte. Der Eklektiker Raffael fühlte
sich als Genie, weil er alle Elemente seiner Kunst
zumindest im gleichen Maße zu beherrschen glaubte,
wie irgendeiner seiner Zeit- und Künstlergenossen.
Beide haben sich über die individualistischen Ten
denzen der Renaissance nicht die Köpfe zerbrochen
und ihre Kunst, — ob sie ganz auf die Gewalt der
Persönlichkeit oder ganz auf die Harmonie formaler
Meisterschaft -gegründet gewesen sein mag, — ent
hielt stets genug Zeitloses, um ihre eigene Zeit
lebendig zu überdauern. Das Malerbuch des Leonar
do, die Tagebücher Delacroix, die Briefe Mareös und
Van Goghs beschäftigten sich vorwiegend mit
den Fragen des Handwerks, mit den Mitteln, die dazu
dienen, dem Gegenstand des Werkes gerecht zu wer
den und, wie alle anderen schriftlichen Aeußerungen
von Malern, setzen sie den sittlichen und geistigen
Wert des Gegenstandes, die künstlerische, mensch-
beitliche und nationale Zuständigkeit dieses Wertes
als Selbstverständlichkeit voraus.
In einer solchen Schaffensathmosphäre scheint die
noch immer so aktuell gehaltene Streitfrage um das
Was und das Wie gänzlich überflüssig. Es gibt kein Pro
blem des Gesetzes zwischen Naturgebundenheit und Stil,
ln der Kunst ist Natur und Stil zur Einheit verschmol
zen und diese Einheit ist die wahre Natur der Kunst.
Große Kunst hatten aber nur die Zeiten, denen eine
einheitliche geistige Haltung ermöglicht hat, alle
Elemente, Voraussetzungen und Bedingungen künst
lerischer Gestaltung als Einheit zu empfinden und
zu gebrauchen und die somit auch fähig waren,
diese ihre eigene Zeit künstlerisch zu durchdringen
und auszuschöpfen. Alle Problematik und aller Streit
um Richtungen, alles Klagen über die künstlerische
Sterilität unserer Zeit ist also die Problematik einer
Zeit, die ihrer ganzen Haltung nach künstlerisch
undurebdringbar und der Gestaltung nur dann zu
gänglich ist, wenn sie sich hiebei zeitgemäßer Mit
tel bedient. So mag es erklärlich sein, daß dieser
Zeit am ehesten das Plakat als künstlerischer Aus
druck adäquat ist, wobei der Begriff des Plakates
nicht auf den Papierfetzen beschränkt werden muß,
den wir als solches zu bezeichnen gewohnt sind.
Plakat ist jedes scheinbare Kunstwerk, das für sich
selbst, für seinen Gegenstand und für seinen Her
steller, Reklame machen will, statt Ausdruck einer
echten Persönlichkeit zu sein, Dokument der Origi
nalitätssucht ist, statt Symbolschrift für ewige W r erte
zu bleiben, Forderungen des Tages erfüllt oder ar
tistisch genügsam die Mittel zum Selbstzweck erhebt.
Bilder waren immer dazu da, dem Menschen
seine Transzendenz mit sinnlichen Mitteln erlebbar
zu machen. Die Produkte der Ratio, das Kino, das
Radio, die Fakturiermaschine und das Maschinen
gewehr kennen keine Transzendenz, daher kann ihnen
und allen ihren Verwandten, soferne sie bildhaft
veranschaulicht werden sollen, (und das wollen sie,
denn die Masse denkt, wenn sie denkt in Bildern),
nur noch der Photoapparat gerecht werden. Die
Menschen die ein „gutes Photo“ einem „problema
tischen Porträt“ vorziehen, werden immer zahlreicher
sie sind Menschen ihrer Zeit, für alle Zeiten ver
loren. Sie kommen auch als Museumsbesucher nicht,
geschweige denn als Sammler in Betracht, es sei
denn, die Dynamik eines Touristenprogramms läßt
sie sich in eine unfruchtbare Baedekeriade verirren.
Dabei mögen sie auf verhungert und fanatisch aus
sehende Gestalten stoßen, die komischerweise fähig
sind, noch immer vor dem gleichen Bild zu stehen,
vor welchem man sic schon am Beginn der Ex
kursion verloren stehen sehen konnte. Maler sind
heutzutage, hoffentlich nicht die einzigen, aber sicher
lich die echtesten Besucher der Museen. Sie sind
cs, die Bilder wirklich erleben, die vor einem gu
ten Bild ihr Dasein erhöht fühlen und - die an