Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber i Norbert Ehrlich
28. Jahrgang IS. September 1937 Nr. 13
Sollen Maler Bilder sehen?
Von Maler Georg Mayer-Marton (Wien).
(Schluß aus Nr. 12.)
Ein Museum man hörte es häufig ,,Bilder
friedhof“ nennen - birgt unerhörte geistige Kräfte,
die wohl auch einem Maler gefährlich werden, seinen
Geist, sofern er schwach ist, umbiegen, verfälschen
und umbringen können. Mag man die Maler in zwei
Gruppen teilen: in die der Schwachen und Starken.
Ist das Museum für den schwachen eine Gefahr?
Nein: um den Schwachen ist es nicht schade, wenn er
im Eklektizismus untergeht. Dort kann er immer noch
Wichtiges leisten, indem er hilft, die ewige Kette
der lebendigen Tradition zu schließen und selbst in
Zeiten, die an geistiger Substanz zu arm sind, um
auch dem Schwachen noch genügend davon abzuge
ben, wenigstens die Substanz der Vergangenheit kon
serviert. Daß das Sehen von Bildern für die Star
ken keine Gefahr ist, werden auch die zugeben, die
im Sehen von Bildern Gefahren erblicken. Für beide
Gruppen aber ist die Kunst der Vergangenheit höch
ster Wert des Wiedererlebens, die Quelle des Kön
nens und des Wissens, das Lehrbuch über Mittel
und Zweck und der Wegweiser auch im Kunst
wirrwarr der heutigen Zeit. Es kommt nur darauf
an, was einer aus dem Gesehenen macht. Der Wirr
warr aber wiederholen wir es, man kann es nicht
oft genug wiederholen — ist nicht der der Kunst,
sondern der der Zeit. Würde es die Kunst - meinet
wegen zeitflüchtig, feig, unmodern verstehen, von
der Zeit — von dieser Zeit unabhängig zu ma
chen und zur Zeitlosigkeit zurückzuführen, die erst den
Wert der Zeit erhöht, verschwände auch gleich derWirr-
warr aus ihr. Aber trotz dem Wirrwarr entstehen
noch gute Bilder, gibt es noch und nicht ein
mal zeitflüchtige gute Kunst. Diese würde ins
Leben gehören, aber dort ist sie fremd geworden
und wird kaum noch gewollt. Sie hätte eine anstän
dige Zufluchtstätte: die Wände der Sammler und
der Museen. Aber Sammler und Museen sehen nur
nach rückwärts und was bei ihnen das Schaffen des
letzten Menschenalters vertritt, ist vom Zufall, vom
guten Willen, manchmal von den guten Augen eines
einzelnen, am häufigsten aber von den Gesetzen des
Tages ausgewählt. Dieser Tag kann ebensogut in das
Jahr 1739, wie in das Jahr T937 fallen. Von Ge
setzen, die sich, weil sie eben an den Tag gebunden
sind, auch täglich ändern können und deshalb im
Gebiet zeitloser Maße falsch sind.
Es wird Sache der späteren Generationen sein,
die Bestände der Depots und der Säle und Kabi
nette wieder einmal genau zu überprüfen und alles an
den gemäßen Platz zu bringen, bis eine nächste
Generation wieder den Inhalt der Säle mit dem der
Depots vertauscht. Stets werden aber gewisse Werke
unantastbar bleiben und ihren Platz behalten. Das
Uebrige mag als Anreger fruchtbarer Auseinander
setzungen mit dem Wechsel der Zeiten den Platz
wechseln. Will das Urteil über einen Künstler oder
über ein Werk auch nur halbw r egs beständig sein,
so kann es sich nur angesichts der vollen Wirk
lichkeit des Werkes bilden. Weder zeitlich zu flüch
tige und zu zufällige Ausstellungen, noch die Re
produktionen der Kunstzeitschriften ermöglichen eine
geistesgeschichtlich gerechte Wertung. Das Einzel
werk in Ausstellungen, mitten aus der Reihe von
Gutem und Schlechtem herausgegriffen, spricht eher
für sich selbst, als für die Persönlichkeit seines
Schöpfers oder für die künstlerische Haltung der
Zeit. Seine Beziehung zum Vorhergegangenen und
zum Nachfolgenden (sowohl im Gesamtwerk der
Künstlerpersönlichkeit, wie in dem der Künstlerschaft
der Zeit) weist ihm erst den gebührenden Platz zu.
Weder die in den Kunstbüchern und in den Kunst
zeitschriften sichtbaren Illustrationen, noch die auf
die Leinwand eines Vortrages projizierten Diapositive,
nicht einmal die vollkommensten Lichtdrucke geben
die volle Wirklichkeit eines Bildes, einer Skulptur,
eines Bauwerkes, - ebensowenig, wie das Grammo
phon und das Radio die volle Wirklichkeit eines
Musikwerkes oder eines Dramas vermitteln können.
Im Gegenteil: durch die Unzulänglichkeit der tech
nischen Reproduzierbarkeit, durch die Reduktion auf
einen Teil aller Wirkungselemente, durch den Ver
zicht auf Farbe, Räumlichkeit und unmittelbare Wir
kung der Proportion einerseits, durch den Verzicht
auf Lebendigkeit, Plastizität und unmittelbare Wir
kung der instrumentalen oder menschlichen Stimme
andererseits, werden die Ansprüche, die man an die
künstlerische Produktion und auch an die der Re
produktion im höheren Sinne stellt, ständig herab-