aus tüchtiger, geschulter Handarbeiter zu den Seltenheiten
gehört.
Der enorme Andrang zu den sogenannten gebildeten Ständen
hat natürlich die weitere Folge gehabt, daß dem Handwerker^
stand die intelligenten Kräfte, die er nicht entbehren kann,
größtenteils entzogen wurden und dadurch dem herrschenden
Vorurteil ein Schein von Berechtigung zukommt. Die be^
obachteten Fälle von Roheit, Mißbrauch der Lehrlingskraft,
Verrohung der Sitten und andere Mißstände halten vielfach
die Eltern gegen ihre bessere Meinung davon ab, ihre Söhne
ein Handwerk ergreifen zu lassen. Aber diese Mißstände
sind nicht von Dauer und verschwinden in dem Augenblick,
wo sich unser Verhältnis zur schöpferischen Arbeit ändert.
Seit Jahren sieht man den besseren Teil der Arbeiterschaft
mit Erfolg tätig, alle Bildungsmittel zu ergreifen und aus
ihrem Stande Elitemenschen zu erziehen, und überdies ent^
wickelt sich aus dem kunstgewerblichen Arbeiter eine Klasse,
die berufen ist, die Mauern des lächerlichen Standes vor ur^
teils niederzuschleifen. Indessen veraltete Konventionen als
leere Daseinsformen vorderhand noch bestehen, hat sich das
Gefüge der Lebensmächte allmählich zu gunsten jener ver
ändert, die am Weltbau werktätig mit produktiver Arbeit
mittun, und die mit der Zeit auch eine gänzliche Umwertung
der gesellschaftlichen Begriffe herbeiführen werden.
Ein Beweis für diese Verschiebung des Schwerpunktes und
die Heerscharen der Enttäuschten, die zielverloren über eine
verfehlte Existenz klagen, und als Warner die ausgetretenen
Straßen füllen. Der Strom des Lebens geht in anderer Richtung.
Die Scharen der Nachzügler werden umkehren, wofern sie
die Gelegenheit nicht versäumt haben, und jene Arbeits
berufe füllen, die der Intelligenzen dringend bedürfen.
Die drängenden Massen haben allerdings eine nicht zu unter
schätzende Kulturarbeit geleistet: die Verallgemeinerung des
Wissensmaterials. Nachdem alle Kreise damit gesättigt werden
können und Wissen als kein Verdienst, sondern als Selbst
verständlichkeit gilt, drängt die Zukunft auf Entwicklung
des Könnens. Wissen allein ist toter Ballast, wenn es nicht
aus dem Können fließt oder unmittelbar für das Können
fruchtbar gemacht werden kann als Vermehrung der Lebens
güter. Lernende müssen wir bleiben bis ans Lebensende,
nicht Lernende um des Lernens, sondern um des Könnens
willen. Vor 150 Jahren hat Jean Jacques Rousseau das
moderne Erziehungsideal in seinem „Emile“ entworfen,
darin er einen Menschen zeichnet, der durch Erfahrung und
Notwendigkeit sein reiches Wissen erlangte und gleichzeitig
ein Handwerk verstand, sein Leben damit zu bestreiten.
Rousseaus Ideen werden lebendig in dem künstlerischen
Jahrhundert, an dessen Anfang die Worte stehen: KÖNNEN
IST MACHT. Kunst ist von Arbeit schon deshalb nicht
zu trennen, weil beide sich aus dem Können entwickeln;
Wissen hat nur Sinn um des Könnens, um des Schöpferischen,
um des Lebens willen; Kultur ist daher immer auf Können
gegründet und eine Kultur des Denkens oder des Geistes,
die nicht dieses Ziel der Verwirklichung hat, ist nicht mehr
als ein schöner Betrug. Kunst aber ist die höchste Vollendung
aller Arbeit; jegliche Arbeit kann künstlerisch betrieben,
d. h. zur höchsten Vollendung gebracht werden. Sie wird
es nie auf dem Wege des Zwanges und der Unlust; eine
Arbeit künstlerisch betreiben heißt, ihr menschliche Züge
zu geben, sie zum Ausdruck der Lebensfreude und der
gesteigerten Fähigkeiten zu machen; wenn die Hervor
bringungen auch dadurch allein nicht Kunst werden, so
vermögen sie dadurch ein abgestuftes Verhältnis, einen
Zusammenhang mit ihr auszudrücken, eine reine und har
monische Menschlichkeit, die, wenn sie allen Dingen abzulesen
ist, mit dem Worte Kultur bezeichnet werden kann. Darin
zeigt sich die Kunst als wahre Demokratin, als Sache des
Volkes, weil sie eine Sache der Arbeit ist, von der sie nie
hätte getrennt werden dürfen. Als sie von ihr getrennt
wurde, hat die Arbeit des Volkes unberechenbaren Schaden
erlitten, hat die Volkswirtschaft den Charakter der Ausbeutung
angenommen. Ausbeutung liegt nicht im künstlerischen
Gedanken. Der Ausbau der Menschlichkeit in allen Dingen,
die ihr Dasein umkleiden und vollenden, ist der Inhalt des
künstlerischen Gedankens, während Unterdrückung und Ver
nichtung der Menschlichkeit zu gewinnsüchtigen und ego
istischen Unternehmerzwecken der Inhalt der heutigen Volks
wirtschaft ist. Den künstlerischen Gedanken, d. h. die wert
bildende Kraft des Talentes, die Entfaltung der Menschlichkeit
in den Mittelpunkt der Volkswirtschaft zu rücken, ist Auf
gabe der Kulturentwicklung. Die Volkswirtschaft muß diesen
Inhalt haben, wenn sie ihrem Zwecke genügen, d. h. Kultur
bilden soll. Anderseits werden wir zu keiner Kultur gelangen,
wenn die Volkswirtschaft nicht diesen Inhalt bekommt. Wir
haben heute keine festbegründete allgemeine Kultur, so
wenig wir eine wahre Volkswirtschaft haben und ebensowenig
finden wir in der Arbeit des Volkes das künstlerische Moment,
d. h. das freudige, beglückende Streben nach Vollendung in
allen Gebieten des menschlichen, sichtbaren Schaffens. Denn
alles das hängt innerlich zusammen. Wir sehen die arbeitende
Bevölkerung heute gegen die kapitalistische Ausbeutung der
Menschlichkeit kämpfen, es ist ein Kampf um die primärsten
Menschheitsrechte, um Forderungen des nackten Daseins.
Es ist ein Kampf um den Lohn und um Verkürzung der
Arbeitszeit, nicht ein Kampf um die Vollendung und Ver
edlung der Arbeit. Auch das ist ein starkes Zeichen der
Zeit. Von der Lohnarbeit ist zunächst gar nicht die Hingabe
zu verlangen, wie sie der Künstler an seine Arbeit hat,
denn die Lohnarbeit ist zum größten Teil in künstlerischer
oder menschlicher Hinsicht (hier ist ein Zusammenhang zu
merken) so entwertet, daß sie gar keine Befriedigung ge
währen kann, als die etwa, nach den trostlosen Arbeitsstunden
den Lohn zu erhalten. Diese Hingabe wird auch gar nicht
verlangt, der Arbeiter wird in der Regel der Maschine gleich
gestellt. Wegen der künstlerischen oder menschlichen Wert
losigkeit ist die meiste Lohnarbeit für die Kultur unfruchtbar,
sowohl für die Kultur der Gesamtheit, für die solche Arbeit
geschieht, als auch für die Kultur des einzelnen, der solche
Arbeit verrichtet.
Wenn einmal der künstlerische Gedanke für die Arbeit wieder
zurückerobert sein wird, dann wird die Hingabe an die Arbeit,
der Wettstreit um die Vollendung selbstverständlich sein.
In der kunstgewerblichen Arbeit finden wir eine solche Kultur,
die auf Qualität gerichtet ist, in den Anfängen entwickelt.
Die kunstgewerbliche Arbeit ist aus diesem Grunde von be
sonderer Bedeutung; sie wird den Anfang einer Volkswirt
schaft des Talentes bilden, die vorhanden sein wird, wenn
das wirtschaftliche und soziale Dasein des arbeitenden Volkes
gesichert und alle Kulturmittel seinem Leben dienen. Dann
wird nur Arbeit getan, die wieder Kultur ist und den Aus
druck der Freude und Hingebung trägt, und dann wird Kunst
bei der Arbeit sein.
Ich unterschätze keineswegs die Leistungen des XIX. Jahr
hunderts, soweit sie Kulturmöglichkeiten erschließen. Natur
wissenschaft und Technik haben eine Entwicklung herbei
geführt, die ans Wunderbare grenzt. Berlin ist in den letzten
fünfzig Jahren gewachsen und ebenso viele Städte, wie früher
nicht in Jahrhunderten. Diese Menschenmassen zu versorgen,
ihren Verkehr zu regeln, ihr Zusammenarbeiten zu fördern,
hat es Einrichtungen geschaffen, die in organisatorischer Hin-
66