42G
DIE VERVIELFÄLTIGENDEN KÜNSTE.
II. Deutsches Reich.
Im Gegenfatz zu den Franzofen, welche fich insbefondere
durch die Aufteilungen ihrer Radirer hervorthaten, lag das
Schwergewicht in der deutfchen Abtheilung auf einigen grofsen
Grabftichelblättern. Und zwar waren es einige Stiche nach Rafael,
welche mit den höchsten Anfprüchen auf monumentale Geltung
auftraten und daher vor Allem untere Beachtung auf fich ziehen.
Man fpricht in Deutfchland viel und gern von der «grofsen
hiftorifchen Kunft». Man fleht zu ihr gewiffermafsen in einem
platonifchen Verhältniffe; man kann fie zwar nicht faffen und erreichen, man würde
fich aber fchämen, einzugeftehen, dafs man fein Ziel minder hoch gefleckt habe,
als es die nun einmal theoretifch und äflhetifch feftgeftellte Aufgabe der «grofsen
Kunft» verlangt. Leider läfst fich nur die grofseKunft nicht auf demfelben Wege
machen, auf welchem die ganz inhaltslofe und theoretifche Schwärmerei des Publi-
cums gemacht wird. Der Künftler, welcher fich dadurch täufchen läfst und nur das
Unmögliche für ftrebenswerth hält, ift mehr zu beklagen als anzuklagen. Indefs
er vornehmlich für feine Unfterblichkeit zu arbeiten vermeint, huldigt er leicht
einem vorübergehenden Zeitgefchmacke, der auf keine tieferen Bedürfniffe und
Ueberzeugungen begründet ift.
Unter folchen Umfländen ift es ein Glück, wenn die reproduCirende Kunft
fich den anerkannten Meifterwerken der Vergangenheit zuwendet. Hier allein
fleht fie auf ganz ficherem Boden. Die Anfprüche, welche die grofsen Meifter des
XV. bis XVII. Jahrhunderts an unfere Bewunderung Hellen, find unverjährbar.
Ihren Werken kann der Kupferftecher getroft den Aufwand von Zeit und Mühe
i widmen, den heutzutage feine Technik koftet. Freilich find aber auch die An
forderungen, welche fie an den Stecher ftellen, ungemein viel höher als die eines
modernen Vorbildes; denn einmal ift die claffifche Sprache der alten Meifter uns
urfprünglich fremd und ihr Verftändnifs fchwierig; fodann aber haben fich bereits
zahlreiche hochbegabte Stecher in ihrer Interpretation verfucht, ja bewährt, und
das Ergebnifs des modernen Künftlers fordert fomit zu den gefährlichften Ver
gleichungen mit den ihrigen heraus. Dies wird um fo mehr der Fall fein, wenn
fich ein Zeitgenoffe an die Wiedergabe von Gemälden wagt, von denen bereits
grofse, bisher für muftergiltig angefehene Kupferftiche exiftiren.
Zwei folche Beifpiele lieferte uns nun gerade die deutfche Abtheilung auf der
Weltausflellung. Es find natürlich Stiche nach Rafael; denn es ift feit lange
fchon eine kupferftecherifche Zunftregel, nur Rafael und immer wieder Rafael zu
ftechen, und es fpricht gewifs für die Dauerhaftigkeit feines Credits, dafs es bisher
nicht gelang, ihn todtzuftechen. Im Gegentheile erregte Eduard Mandel’s Stich
nach der Madonna della Seggiola Auffehen, nachdem das Bild bereits einige
vierzigmal geftochen war. Und fo wenig Rafael’s Werke in dem ungemeffenen
Vorrathe gleichzeitiger Meifterwerke vereinfamt daftehen, fo hat doch der mo
derne Grabftichel ihm mehr gehuldigt als allen andern claffifchen Künftlern zu-
Manfchettenknopf,
Gold mit Email, von
E. Philippe in Paris.