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russischen Arbeiten der feinen Durcbbildnng der Form, der zierlichen und reichen Pro-
filining, insbesondere aber des reizenden Schmnckes von Gold und Email entbehren.
Eine derartige Sammlung für diesen Indnstriezweig verwerthet, wäre frir Russland un-
schätzbar. In der kaiserlichen Fabrik von Peterhof werden die erwähnten Steinarten auch
mosaikartig in Belief verwendet, so wie zur Verzierung feinerer Luxusniöbcl benützt. Ein
paar gliiirzende Kästen dieser Art, sog. "Cabinette" nach alter Bezeichnung, davon einer
der Kaiserin gehörte, gut coinpouirt und von reicher Wirkung, linden sich ausgestellt.
Bei russischen Eigentbümlichkeiten ptlegt man wohl zunächst an die religiösen Ar-
beiten der Klöster zu denken, an die kleinen geschnitzten Heiligenschreine, Cruciiixe und
was dergleichen mehr ist. Diese Gegenstände, die zahlreich ausgestellt sind, lassen aller-
dings eine wunderbare Feinheit der Technik erkennen, allein es sind stereotype Arbeiten
von einem nnveriinderlichen, erstarrten und noch dazu unschönen Styl. Sie sind für den
Fortschritt der Industrie und des Geschmacks bedeutungslos und höchstens durch ihre
Starrheit und ihre Beherrschung des religiösen Gebietes ein Hemmniss derselben.
Nicht diese byzantinischen Traditionen sind es. welche uns einen grossen Theil der
russischen Kunstindustrie interessant machen, sondern jene, in denen wir alte asiatische
Einüiisse erkennen müssen oder die auf wirklich asiatischem Boden bei den russischer
Herrschaft unterworfenen Völkern entstanden sind. Dahin gehören in erster Linie die Me-
tallarbeiten, bekanntlich ein lndustriezweig, der in die uriiltesten Zeiten der Geschichte
Asiens hinzufsteigt und von dem uns an der südsibirischen Grenze entlang die Grabhiigel
wundersame Arbeiten geliefert haben, deren Zeit und Schöpfer wir nicht mehr nachweisen
können. Eine Baupttechnik dieser asiatischen Metallarbeiten ist die Tsuschirung oder Da-
inascirung, das Hineinschlagen eines Metallen in ein anderes, davon wir schon bereits in
Spanien eine Tradition aus arabischer Zeit erwähnt haben. In Russland ist Stadt und Be-
zirk von Tula durch dieselbe Technik, die schon seit langem blüht, hoch berühmt. Irn
Norden Deutschlands sind die Tula-Dosen wohl bekannt. Aber die Sclmupftabsksdosen
aus Stahl und Silber bilden nur einen kleinen Theil der Fabrication, die viele Gcräthe
des Hauses, Messer, Gabeln, Löliel, Becher u. s. w., ganz insbesondere auch Waden um-
fasst und alles mit reizenden Verzierungen bedeckt. Fragen wir nach Styl und Ursprung
dieser Ornamente, so Enden wir allerlei reizend verschlungene Arabesken, die sich, aus
Stamm und Wurzel ausgehend und sich verzweigend, nach dem Gesetz schöner Raume
ausfiillung über die gegebenen Flächen hin verbreiten, Arabesken, die keine anderen sind
als jene uns wohlbekannten orientalischen vom fünfzehnten und sechszcbnten Jahrhundert,
die in der Zeit der 'l'ürkenkriege nach Europa kamen und nuf die Rüstungen und Waffen
und anderen Industriezweige übergingen, hier h-eilich aber auch bis zur Unkenntlichkeit
entstellt wurden. Bei diesen TulafArbeiten sehen wir sie vielfach noch in alter Schönheit,
neben ihnen leider aber auch europäische Ornamentation, Rococo, selbst Städteansichten,
Lsndschaßen u. dgl. eingedrungen. Diese gänzlich verkehrte Concession an den civilisirtcn
Geschmack sollte so bald als mögiicb strengstens wieder verbannt werden, denn bei der
Richtung, der wir jetzt entgegen gehen, kann sie leicht unwiederbringlich ins Verderben
führen.
Den Tals-Arbeiten nahe stehend in der Technik, thsilweise auch ähnlich in der
Ornamentik sind die Metallarbeiten der tscherkessischen Völkersehaftßn vom Kaukasus.
In dieser Metallfabrication ist uralte. echt asiatische Tradition vorhanden. Die Gold- und
Silbertauschirung auf den Klingen von Kboressan und Eriwau ist oft so vortreiflich aus-
geführt, wie auf jenen Waden im Schatz des deutschen Ordens, und die Grilfe und Scheiden
von Bein und Elfenbein sind mit zierlichsm, tiefgruvirtem und vergoldetem Liuienornament
überzogen.
Aber neben solchen dainascirten Waden und Gerlithen finden wir hier unter An-
derem Silbergefasse, ilascbenartig, von theilweise edler Bildung mit langem Hals und ge-
triebenen Ornamenten, die in ihrer Zeichnung den nachbarlichen persischen Eiuiiuss er-
kennen lassen, eben jene persischen Blumen, die, scheinbar naturalistisch gehalten, doch
durch glückliches Arrangement und regelmiissige Vertheilung sich den üblen Folgen des
Nnturalismus entziehen. Auch in der Verwendung des Email champleve oder Gruben-
schinelzes, d. h. der Ausfüllung ansgegrnbener Vertiefungen mit dem Schmelzßusse, haben
wir alte Uebcrliefcrung zu erblicken und so noch in manchem anderen, wie z. B. in Fili-
gran, das hier ebenfalls noch in Uebung ist.
Weit hewuuderungswiirdiger aber noch als diese Arbeiten vom Kaukasus sind dic
Stickereien von derselben Herkunft, zumal wohl von der Siidseite dieses Gebirgszuges, die
wohl immer, wenigstens seit der Sassaniden-Zeit. unter dem Einduss des hunstreichen
Persiens stand. Diese Gegend hat Decken aller Art, Kisssniiberziige und dergleichen mit
reichen Stickereien in Gold, Silber und farbiger Seide zur Ausstellung geliefert, deren
Ornamente nicht in Weise der gewöhnlichen vielfarbigeir Tischdecken, sondern mehr im
indischen Blumenstyl gehalten, gross geschwungen, in rcgelmiissiger Anordnung, mit wahr-