MITTHEILUNGEN
DES
K. K. OESTERREICI-I. MUSEUMS
KUNST UND INDUSTRIE.
Monatschrift für Kuyrvlstgewerbe.
Herausgegeben und redigirt durch die Directiun des k. k. Oesterr. Museums.
im Oommissionsverlag von Carl Geroltfs Sohn in Wien.
Abonnementspreis per Jahr H. 4.-
Nr. 113. (356). 7 "WIEN, Mai 1895., N F. X. Jahrg.
Inhalt: Ueher Renaissance der Kunst. Van Alois Riegl. (Schluss) - Angelegenheiten des Oesterr
Muleums und der mit demselben verbundenen Institute. - Littcraturbericht. - Bibliographie
de: Knnatgewerbea. - Notizen.
Ueher Renaissance der Kunst.
Von Alois Riegl.
(Schluss)
Also eine gewaltsame Abkehr von der eigenen, historisch gewordenen
Kunst war auch bei der Einführung der deutschen Renaissance ebenso-
wenig wie bei allen ihren Vorgängerinnen beabsichtigt. Aber hinsichtlich
des zweiten Punktes, hinsichtlich der hiebei zur Anwendung gelangten
Mittel, hinsichtlich jener anderweitigen Kunstweise, die man zur Verbes-
serung, zur Bereicherung der eigenen, zur Durchführung einer "Wieder-
gehurtc der deutschen Kunst verwendet hat, herrscht ein grundsätzlicher
Unterschied zwischen der deutschen Renaissance und den früheren Renais-
sancen. Haben die früheren Renaissancen immer nur nach einer nächstver-
wandten, mit der eigenen noch in allem Wesentlichen zusammenhängenden
Kunst gegriffen, so hat die deutsche Renaissance zu diesem Behufe eine
ursprünglich ganz fremde Kunst, die italienische, benützt. Die italienische
Kunst ist also in diesem Sinne im 16. Jahrhundert ungefähr ebenso als
Eroberin in Deutschland aufgetreten, wie drei Jahrhunderte früher um-
gekehrt die nordische, gothische Kunst in Italien. Und doch hat Niemand
bisher die Vermengung der Gothik mit der italienischen Kunst im 13.
und 14.. Jahrhundert als eine Renaissance bezeichnet. Auch die sogenannte
deutsche Renaissance des 16. Jahrhunderts verdient deshalb im Grunde
gar nicht die Bezeichnung einer Renaissance, und sie verdankt diese Be-
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