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Volltext: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift zur Pflege der künstlerischen Bildung und der städtischen Kultur, 3. Jahrgang 1906/07

DIE MIETSWOHNUNG 
AMERIKANISCHE 
MASCHINENMÖBEL 
Der Formenreichtum 
ift unerfcböpflicb,wenn 
es ficb nicht mehr um 
das Ornament, fondern 
um den Komfort 
handelt 
gegebenen Premiffen führt auf den formalen Grundfat) der Kiffen- 
tifcblerei. Wenn wir in der Mietswobnung je wieder das Leben 
angenehm und leicht empfinden wollen, dann müffen wir auf die 
laftende Koftbarkeit der beweglichen Habe wieder verzichten 
können und zur Einfachheit der kiftenmäßigen Wobnungsaus- 
ftattung zurückkehren, die obendrein eine klare, arcbitektonifche 
Durchbildung wieder erficbtlicb und die ungehinderte Anwen 
dung der febönen Farben, wie ipäter darzutun, möglich macht. 
Schwachen Gemütern wird es als eine unerhörte Zumutung er- 
febeinen, zu diefer Einfachheit zurückzukebren, die in der Ge- 
febiebte der Möbelformen eigentlich der Ausgangspunkt war. Wir 
dürfen nicht vergeffen, daß die Truhe das Urmöbel gewefen ift ( 
aus dem ficb die Bank, der Tborn, der Stuhl und alle anderen 
Möbelarten nach und nach gegliedert haben. In guten Räumen 
der Gotik und der Frübrenaiffance berrfebt die Truhe oder die 
Kifte, oder mit anderen Worten, die ihnen eigentümliche Grund 
form, deren Abwandlung für alle Wobnbedürfniffe verforgt. Diefe 
febönen, alten Räume, in denen diefe ftrenge Grundform vor- 
berrfebt, find febön durch die barmonifchen, alfo architektonifch 
geordneten Maßverbältniffe, von denen die Wand und der Grundriß 
gegliedert find. Auf den Bildern der frübitalienifcben Meifter 
finden wir folcbe Räume, die nichts enthalten, als das eine oder 
andere trubenförmige Möbel, und jedes Schmuckes entbehren und 
dennoch in ihrer keufchen Enthaltfamkeit fo erfüllt von Harmonie 
find, daß wir bei ihrem Anblick das Glück einer heiteren Selig 
keit empfinden. Da kommt es nun vor, daß diefe Möbelformen 
im reichen Schmuck der febönen beraldifcben Farben und der 
eingelegten Arbeit aus edlen Metallen und koftbaren Hölzern 
auftritt oder daß, die in unterer Zeit nicht mehr exiftierende 
Kunft des Schnitters der abftrakten Raumgröße individuelles 
Leben gibt. Von der Seelenkraft des reichen Scbnitjwerkes 
und der köftlicben Farben gefangen genommen, überfab der Be 
trachter in der Regel, daß in folcben alten, ftrengen Räumen die 
Architektur als Trägerin diefer Herrlichkeit mit unbeugfamer 
Konfequenz nach diefer einfachen, fcbematifchen Aufteilung ver 
fährt, deren Grundform die Truhe gibt, das Quadrat oder der 
Würfel, wenn auch in länglicher Form, und daß erft durch den 
geiftvoll kombinierten Aufbau diefer einfaebften Raumelemente 
die malerifchen und bildnerifcben Künfte zum vollen Ausklingen 
gelangen. Erft als Glieder der Raumkunft kommen die einzelnen 
technifchen Künfte zu der ungefchmälerten lebensvollen Wirkung, 
die von der architekturblinden, einfeitigen Bevölkerung meiftens 
nur im Fragment beurteilt wird. Der architekturblinde Beur 
teiler ift in der Regel geneigt, von Manieriertheit zu fpreeben, 
wo eine einfache mit elementaren Raumwerten operierende An 
ordnung ohne das berückende Kleid der ergänzenden Künfte 
bervortritt. Streng genommen kann jede zweckvolle Anwendung, 
die ficb architektonifch in gefühlten Verbältniffen ausdrückt, künft» 
lerifcb für ficb allein befteben. Bei dem ominöfen Wort Manier 
ift zu unterfcheiden, ob es ficb um die komplizierte Anwendung 
einfaebfter Raumgrößen in finnvollen Verbältniffen handelt, die 
das Wefen des Architektonifcben ausmacht, oder um die Willkür 
einer fcblecbtverftandenen, fogenannten malerifchen Anordnung. 
Die moderne Tendenz ift darauf gerichtet, die Maffe der Woh 
nungen mit einem zweckmäßigen, wohlfeilen Hausrat zu ver- 
forgen, der das Leben in diefen Räumen wieder auf die Stufe 
des künftlerifcben Gefcbmackes erhöbt und leicht und froh macht. 
Es entfpricht auch der modernen Erzeugung und wirtfchafHieben 
Tendenz, das Maffenmöbel mafchinell berzuftellen. Wenn es mög 
lich fein foll, die Maffe zu einem erträglichen Gefcbmack zu bringen, 
dann bedarf es einer guten Type des Mafcbinenmöbels, das den 
Markt beherrfebt. Ein individuelles künftlerifches Möbel kann 
ficb nur aus dem Vorbandenfein einer guten Type entwickeln. 
Die gute Type des Mafcbinenmöbels nach Einfachheit und Zweck 
mäßigkeit, fowohl wegen der Herftellung, alfo auch wegen des 
Gebrauches zum Gefetj. Es ift logifcb, daß die einfaebfte, allge- 
meinfte und in der Anwendung vielfeitigfte Form aufgreift, die 
fchematifche Grundform. Aus weichem Holz bergeftellt, bedürfen 
fie vor allem des Anftriches, der nach längerem Gebrauch erneuert 
werden kann und immer Reinheit und Sauberkeit zur Aufgabe 
macht. Sie bedürfen vor allem der Farbe. Sie eröffnen damit 
ein neues, unerfchöpfliches Gebiet der künftlerifcben Betätigung, 
eine verlockende Perfpektive, um die wir das Volk in den frü 
heren Jahrhunderten der Kultur und in gewiffen Gegenden noch 
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