Internationale
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Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
12. Jahrgang. Wien, 1. Mai 1920. Nr. 9.
Die Kupferstichsammlung Paul Davidsohn.
Mit der Sammlung Paul Davidsohns kommt
eine der größten deutschen Kupferstichsammlungen
unter den Hammer. Mit ihren 10.000 Nummern steht
sie an Reichhaltigkeit nur wenig der Lanaschcn
Sammlung nach, die im Jahre 1909 von H. G. Gutc-
kunst in Stuttgart versteigert wurde.
Max J. Friedländer bezeichnet Davidson als
den letzten deutschen Kupferstichsammler, mindestens
aber den letzten, dem ein Kupferstichkabinett als ein
erwünschtes Ziel privater Bemühung vorschwebte.
Überdessen Lebensschicksale erzählt er uns: Geboren
1839 in Danzig, wandelte Paul Davidsohn 1858 nach
Schottland aus und ließ sich im Jahre 1862 als Kauf
mann in London nieder. Hier begann er mit dem
Sammeln alter Kupferstiche um 1870. Der Berliner
Sammler Landesgerichtsi at Rosenberg, der 1881
gestorben ist, war sein Onkel. Und dieses Vorbild mag
den Anstoß gegeben haben. Davidsohns jüngerer Bruder
Robert Davidsohn hat das Streben nach Wissenschaft
lichkeit aus einem geistreichen Journalisten in einen
Geschichtsschreiber verwandelt. Er selbst betrachtete
seine geschäftliche Tätigkeit als Mittel zum Zweck,
und das Sammeln wurde immer mehr und mehr der
Inhalt seines Lebens.
In jener weit zurückliegenden Zeit, als Davidsohn
in London lebte, stand der ideelle Sport gelehrter
Sammelkunst noch in Blüte. Neuerdings hat auch
drüben die Amerikanisierung der Gesellschaft der
Konzentrierung auf so häuslich beschauliche Lieb
haberei entgegengewirkt. Paul Davidsohn fand reiche
Gelegenheit, Anregungen und Lehrer in England und
legte den Grund zu einer umfassenden Sachkenntnis,
die ihm in späteren Jahren Überlegenheit am Auktions-
tische sicherte.
Im Jahre 1882 siedelte Davidsohn nach Wien über.
Seit 1886 lebt er in Berlin. Fast alle größeren Ver
steigerungen der letzten vierzig Jahre hat er als ein
eifriger Käufer mitgemacht, jeden Vorteil mit wahrer
Aufmerksamkeit wahrgenommen und in stetem Verkehr
mit den gewissenhaftesten und erfahrensten deutschen
Händlern, wie H. G. Gutekunst in Stuttgart, Amsler &
Ruthardt in Berlin und C. G. Bocrner in Leipzig,
Blatt zu Blatt gelegt, verglichen, gewählt und ausge-
schieden und unermüdlich an der Vermehrung und
Verbesserung seines Besitzes gearbeitet.
Der Firma C. G. Boerner, mit der er seit 1874 in
Verbindung steht, hat er nun den Verkauf seiner
Sammlung anvertraut. Die Versteigerung erfolgt in
drei Abteilungen, deren erste, die Buchstaben A bis F
umfassend, vom 3. bis 8. Mai an die Reihe kommt. Im
Mittelpunkt dieser Auktion steht das fast lückenlose
Werk Dürers; Höhepunkte sind die deutschen Klein
meister Aldegrever, Altdorfer und die Behame,
Bartel und Hans Sebald Beham, die Holzschnitte
von Baidung, Burgkmair und Lukas Cranach,
die holländischen Maler-Radierer, die großen Serien
der Porträtstiche von Blooteling, Deeff, Drevet,
Dyck, Edelinck und Falck. Was diese Sammlung
auszeichnet, ist ihre Gleichmäßigkeit und Geschlossen
heit. Nicht persönliche Vorliebe für diese oder jene
Erscheinung oder Gattung, begünstigt von Glücks
fällen, war hier am Werke, vielmehr strebte eine uni
versell-empfängliche und historisch gerichtete Neigung
methodisch nach Abrundung des Ganzen. Die auf
Druckschönheit bedachte wählerische anspruchsvolle
Sorge ließ nie nach, ob es sich um das Werk eines der
großen oder um die Produktion eines minder berühmten
oder geringeren Meisters handelte. Grenzen sind nur
insoferne gezogen, als das neunzehnte Jahrhundert
ganz fehlt, und die galante und gefällige Kunst des
achtzehnten Jahrhunderts schwach vertreten ist. Im
besonderen mied der strenge und männliche Geschmack
dieses Sammlers den Farbstich, während er die virtuosen
Grabstichelleistungen der späteren Franzosen sowie
die Meisterwerke der englischen Schabkünstler
ihrer Bedeutung nach würdigte und aufge
nommen hat.
Wie Paul Davidsohn den Gedanken fassen konnte,
sich von seiner Schöpfung zu trennen, begreift man am
ehesten, wenn man sich klar macht, daß diesem Sammler
der Genuß des Besitzes weniger bedeutete, als die
Freude an der Ausgestaltung und Pflege dieses Besitzes.
Ihn hat die Sammlung weniger durch ihr Dasein
beglückt als durch die aufbauende und ordnende
Aktivität, die damit verbunden war. Als nun Alter,
Reiseschwierigkeit, die Sperrung der politischen Grenzen,
die Verarmung des Marktes ihm die Fortführung der
gewohntenTätigkeit behinderten, faßte er den heroischen
Entschluß zur Auflösung seiner Sammlung, die ihn
mit starren Augen anzublicken begann.