_.., ALFRED RETHEL ALS CARICATUREN- ZEICHNER Sie VON MAX SCHMID- ISTORISCHE Abhandlungen pflegen einen etwas trockenen, lehrhaften Bei- geschmack zu haben. Memoiren aber, in denen die grossen Gestalten der Ge- schichte in ihren kleinen, intimen Zügen ' uns sich enthüllen, das Menschliche im Übermenschen lebhafter hervortritt, be- " sitzen einen eigenen feinen Reiz, be- - sonders für den modernen Menschen. Etwas ähnliches empfindet man, wenn man einen Künstler, der sonst auf den klaren Höhen idealen Schaffens sich bewegt, plötzlich in, fast möchte ich sagen profaner künstlerischer Thätigkeit verfolgen kann, in der sein hochgespannter Geist Erholung und Vergnügen findet. Immer gewaltiger tritt Alfred Rethels Künstlergestalt heute hervor. Immer mehr wird er als der grösste deutsche Historienmaler der Mitte unseres Jahrhunderts gewürdigt, neben dem Schnorr, Bendemann, mehr noch Kaulbach erblassen. Nur als I-Iistorienmaler wird er von seinen Biographen also gefeiert, und er selbst hat mit eiserner Con- sequenz nach keinem anderen als diesem Ziele gestrebt. Was er sonst geleistet, war ihm selbst von geringem Werte. Und doch war er ein Maler von vielseitigster Begabung, der im Porträt, Stilleben, in der Landschaft etc. ebenso grosse Erfolge hätte erringen können. Wenn Rethel diese Fähigkeiten nicht cultivirte, so beruhte das nicht auf einseitigem beschränkten Können, sondern auf dem energischen und bewussten Concentriren auf sein Ziel, auf die Historienmalerei. Aber Rethel besass nebenbei ein Talent, das er selbst vielleicht nur gering schätzte, die Anlage zum Caricaturen- zeichner. Es ist ein Vergnügen, diese Anlage in ihrem Entstehen und in ihrer Fortentwicklung zu verfolgen. Leicht ist das nicht. Rethel besass sonst für die kleinste Arbeit von seiner Hand eine ungemeine Anhänglichkeit und bewahrte sie sorgsam in einer grossen Mappe. Von seinen Compositionen trennte er sich so ungern, dass er, wenn er eine derselben verkaufte, am liebsten für den Käufer eine Copie fertigte, um das Original seiner Mappe zu erhalten. Caricaturen aber fehlen in dieser Mappe fast völlig, oder sind nur soweit sie auch zugleich persönliche Erinnerungen aus seinen letztenjahren darstellen,