359 Aber wir könnten sehr wohl von England lernen, wie man die an alten heimatlichen Bauten ausgebildeten Besonderheiten, soweit sie praktisch, heute wieder aufnehmen, wie man daraus eine eigene, bodenwüchsige Kunst wieder erstehen lassen kann. Muthesius' Werk kann in diesem Sinne grossen Nutzen stiften, wenn es richtig verstanden und richtig gebraucht wird. DAS DECORATIVE ELEMENT IN DER MALE- REI 50' VON OSKAR BIE-BERLIN 50' S gibt keine Kunst, die b1ossAusdruckskunst, nicht auch Zierkunst wäre. Diese beiden Elemente, das seelische und das decorative, gehen neben einander, oft stärken sie sich sogar gegenseitig. Man hat solange gestritten, ob die Musik eine Arabeske V oder eine Lyrik wäre, bis man zu beobachten vergass, dass sie beides ist. Ein Ausdruck kann zur Zierde des Lebens werden und eine Zierde kann aus tiefster Empfindung kommen. Die alte ästhetische Frage, ob die Kunst ein Drang oder ein Vergnügen sei, erledigt sich so einfach, wenn man bemerken will, dass der Kampf eines Einzelnen, sich mit dem künstlerischen Ausdruck aus- einander zu setzen, den Anderen zu einem Vergnügen werden kann, und dass, was diese als Vergnügen sich ersehnen, nur durch harte Mühen und seelische Ekstasen bereitet werden wird. Der Glanz dieser wollüstigen Grausamkeit liegt über aller Kunstgeschichte. Die Malerei war stets eine Kunst der Darstellung und gleichzeitig der Verzierung. Die Menschen, sobald sie sich vor eine Fläche gestellt sahen, konnten nicht bloss auf dieser Fläche schildern, sie mussten auch tektonisch empfinden und bald bildeten sich die raffinirtesten Beziehungen zwischen dem Inhalt und der Tektonik heraus. Nur die Theorie kann nachahmende und verzierende Kunst trennen, die Praxis geht von dem Material aus und alles, was ästhetisch aus einer Fläche zu holen ist, war von der ersten künstlerisch behandelten Fläche an vorhanden. Die Verästelung dieser Beziehung zwischen Inhalt und Schmuck ist fast wie das Aderwerk der Kunstgeschichte. So einfach lag es nie, dass ein Künstler bloss darstellte, ein anderer bloss tektonisch bildete, sondern gleich von Anfang an bewirkte sogar der Einfluss des Tektonischen eine Umbildung des Inhaltlichen und dieser Einfluss wuchs von Jahrhundert zu Jahrhundert. Wie unendlich schwer ist die Analyse der Malerei, wenn man beobachtet, dass heute, wo die seelische Kunst und die Darstellungsmöglichkeiten so ins Weite gewachsen sind, gerade der geheime tektonische und decorative Einfluss viel stärker als je hervortritt. Es scheint fast, als ob gleichzeitig mit der Eroberung des Ausdruckes, die durch die Geschichte der Kunst geht,