wie leichte Betonungen erheben. Wenn Maria in ihrem Grabe ruht und die Heiligen sie umgeben, während oben eine Glorie schwebender Gestalten sich entwickelt, oder wenn zu einer rauschenden Himmelfahrt das Gewühl erstaunter Menschen die Basis bildet, so ist dieses eine Architektur der Gruppirung, die sich dem Renaissanceernpfinden einfügt, wie die lange verticale Gestalt oder der breite chronistische Streifen der Gothik. Wohl können wir die Bilder der decorativsten aller italienischen Schulen, der umbrischen und der römischen, die sie fortsetzt, mit demselben Masse messen, das wir an die Bauten dieser Zeit zum Unterschied von den Werken der Gothik legen. Warum lieben die Venezianer so lange Zeit die breiten Band- streifen der erzählenden Brustbilder? Weil sie noch unter dem Glanz der Renaissance das alte Bandbild nicht vergessen können, wie sie niemals die Stimmung des Mittelalters ganz vergessen. Aber warum hat Perugino ein so grosses Vergnügen an der weiten Dispositon eleganter Jünglinge und warum stellt Andrea del Sarto seine Heiligen so viel rhythmischer, als der alte Domenico Ghirlandajo, der Erzähler? Weil er und Fra Bartolommeo und der römische Raffael ihr Auge mit den Proportionen dieser abge- klärten, tektonischen Einheiten vollgesogen haben und sie ihre Figuren nicht anders ördnen, als der Architekt seine Geschosse und seine Fenster- reihen. Die Gothik lässt das Haus von innen werden und der ältere Maler lässt seine Geschichte sich von innen erzählen, der Renaissancekünstler legt von aussen die Einheiten auf und seine Maler ordnen nicht anders, als von aussen das Leben der Wirklichkeit. Wenn nicht die Gegenstände selbst, sondern ihre Ordnung das Interesse aller Malerei ist, so gab es nur die Form, die die einzige malerische Anschauung dieser Männer war und die selbst die Farbe beherrschte, sowie heute die Farbe eine Form beherrschen kann. Sie kleiden ihre Figuren nach den Gesetzen des formalen Rhythmus und die Heiligen einer Conversazione mussten oft ihre Ober- und Unterkleider in dem grossen Magazine der Draperie gemeinsam aussuchen, um sie dann auf dem Bilde _in gehörigen Corresponsionen anzuziehen. Die mythologischen Gestalten ordnen sich nach denselben Gesetzen, die die Composition von Arabesken und Ranken bestimmen, und ihr Ensemble ist stets ein Tanz wohl disponirter Gliedmassen. Piero di Cosimo und Botticelli führen einen strengen Oberbefehl über die Ordnung der Olympier, die die Wände fürstlicher Säle zu schmücken berufen sind. Selbst im Schlafe, nach der Liebe Lust, dürfen sie diese Rhythmen nicht vergessen. Und alles ist von der Form geregelt, das Einzelne und das Ganze, von der Form, in der sich die Eigenarten der Künstler aussprechen. Selbst das Porträt an der Wand hatte lange seinen grössten Reiz in jenem feinen Liniengedicht, das Pisanello und Domenico Veneziano über das scharfe Profil einer jungen Dame componirten. Auch die Natur beugte sich allmählich dem Compositionsbedürfnis dieser Formalisten. Eine Landschaft des Annibale Caracci dürfen wir nicht dorthin hängen, wo sie das beste Licht, sondern wo sie den rhythmisch