390 EDMOND LACHENAL Sie VON FRITZ MINKUS- WIEN Sie S ist eine eigenthümliche Erscheinung, dass sich das französische Kunstgewerbe der Moderne am entschiedensten und erfolgreichsten gerade auf einem Gebiete hingegeben hat, von dem man vielleicht am allermeisten zähes Festhalten an den alten Traditionen vermuthet hätte: der Keramik. Kein anderer Zweig des Kunsthandwerks ist ja in Frankreich in seinen historischen Glanz- punkten dermassen populär, wie die Töpferkunst. Das Interesse, das man den Werken Palissys, den Potterien von Saint-Porchaire, den Fayencen von Nevers, Rouen, Moustiers, Marseille, den „Faiences revolutionnaires", den Fabrikaten von Alt-Sevres entgegenbringt, übersteigt weitaus das Mass des rein ästhetischen und historischen Interesses und ist mit einer starken Dosis von Nationalstolz gemischt, der manchmal sogar an Chauvinismus grenzt. Während die kunsthistorische Forschung Frankreichs niemals Anstand genommen hat, beispielsweise in der Geschichte des heimischen Möbels, den gewichtigen Antheil hervorzuheben, den deutsche Kunsthand- werker - Beneman, Röntgen, Weisweiler, Schwertfeger - an der Aus- gestaltung des Louis Seize-Stiles genommen, hat sie hinsichtlich der Keramik so manchen Federkrieg geführt, der den „nationalen Gedanken" nicht selten in recht kleinlicher Weise verfocht: man denke an die vielfachen Versuche, für die elsässischen und lothringischen Töpfereien des XVIII. Jahrhunderts ausschliesslich französische Stammbäume zu construiren, oder an die Hartnäckigkeit, mit der man selbst für die Keramik des fernen Orients französischen Einfluss nachweisen wollte, indem man trachtete, die sogenannte „Rhodosware" in die Zeit der Herrschaft französischer Rhodiser Grossmeister zurück zu datiren. Dieses lebhafte Interesse an dem geschichtlichen Entwicklungsgange der heimischen Töpferkunst documentirte sich naturgemäss nicht bloss theoretisch sondern auch praktisch: während der ganzen zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts gab sich vielleicht kein zweites Gebiet der französischen Kunstindustrie so sehr den Traditionen seiner Geschichte oder zum mindesten den allgemeinen Überlieferungen der specifisch französischen Kunstauffassung hin, wie die Keramik. Diese Auffassung aber ging seit jeher auf äusserste Feinheit des Decors aus, auf akademisch genaues Abwägen der decorativen Wirkung, vor allem auf minutiöseste Technik - man möchte sagen auf das Entmaterialisiren des industriellen Productes durch die Kunst oder doch die Kunstfertigkeit. Diese Entmaterialisirungstendenz jedoch steht im extremsten Gegensatze zu dem kunstgewerblich-ästhetischen Dogma der Moderne: die Moderne