430 Der Überblick, den wir zum drittenmale seit 1897 in Dresden über das moderne Kunstgewerbe erhalten, ist sicherlich befriedigend. Allerdings sind wir, obwohl durchaus dem Modernen zugewendet, skeptischer geworden, wie das so der Lauf der Dinge ist; die Thatsache allein, dass ein Entwurf nicht einem historischen Stil sich anschliesst, sondern eben modern ist, vermag uns nicht mehr zu berücken. Aber wir dürfen, wenn wir auch im Einzelnen Ausstellungen zu machen haben, im Ganzen doch einen Fortschritt feststellen. Der blossen kunstgewerblichen Einfälle, der Ausschreitungen, welche heftige Kämpfe für und wider hervorrufen, sind weniger geworden, und es tritt mehr zielbewusstes Stilgefühl hervor. So bleibt noch ein Wunsch vor allem übrig: möge in Zukunft namentlich die volksthümliche Seite des modernen Kunstgewerbes noch etwas mehr in den Vordergrund treten. DIE DARMSTÄDTER KÜNSTLERCOLONIE so VON W. FRED-WIEN w ER Architekt ist der eigentliche Dichter der bildenden Kunst." Diesen Satz über die Baukunst hat Richard Wagner hingeschrieben. Zum Bewusst- sein seiner Bedeutung kommt in Italien jeder. Die Sinne vermitteln dort unweigerlich den höchsten Eindruck der Kunst durch Werke der Architektur. Die Renaissance, die alsSehnsuchtszie1 die tiefsten und feinst organisirten Menschen gerade unserer Zeit beherrscht, verdankt ihre harmonische Erhabenheit dem Umstande, dass die Baukunst das natürliche Centrum aller bildenden Künste war. Der Wunsch Jakob Burckhardts, dass der Staat ein Kunstwerk werde, hatte zur Renaissancezeit in jener Umformung vorzeitige Erfüllung gefunden, dass das Leben eines Standes infolge des glücklichen Anschlusses von Fürsten und Nobilen an die Künstlerschaft einheitlich, durchdrungen von Dichtung und jeder Form der bildenden Kunst, selbst zum Kunstwerk wurde. Diese Epoche durfte dann die historische Blütezeit der Architektur werden; die Resultate dieser Schaffensperiode wurden das höchste Glück und tiefste Unglück aller späteren Zeiten. Denn der Anblick der florentinischen Palazzi liess nie mehr einem schaffenden Künstler den Ansporn zu grossen Thaten fehlen. Keiner durfte und konnte - selbst in der lässigen Zeit der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts - sich mit eigenen Werken mittlerer Güte zufrieden geben; stets unerreichte Vorbilder, ein steter Antrieb für jeden Schaffenden sind diese Werke geworden so wie die Zeit, die sie hervor- gebracht, ein unauslöschliches und in seiner Pracht nicht zu übertreffendes Lebensziel für alle künstlerisch Gearteten geblieben ist. Erst als - wie kurz