KLEINE NACHRICHTEN u- IEN. AUSSTELLUNG von MINIATURENHANDSCHRIFTEN. In dem Prunk- saale der Wiener Hofbibliothek ist eine Ausstellung von Handschriften mit Minia- turen veranstaltet worden, die es zum erstenmale dem grossen Publicum ermöglicht, einen ansehnlichen Theil der Schätze von Manuscripten, die die Hofblibliothek birgt, kennen zu lernen. Das Wort „Miniature" kommt von dem lateinischen „minium" (Mennig), dem Namen einer rothen Farbe, die häufig zum Schmucke der besonders hervorzuhebenden Buchstaben in den Handschriften verwendet wurde. Der Name geht dann aufjede Art der Ausschmückung mit Feder oder Pinsel in einer oder vielen Farben ornamentaler oder iigürlicher Art über und wird später für alle Arten von Malereien in kleinem Formate allgemein üblich. Dem Inhalte nach sind in diesen Handschriften sämmtliche Zweige der Litteratur vertreten, sowohl religiöse Werke, wie die Bibel, die Evangelien, Gebetbücher und religiöse Tractate aller Art, wie auch Werke profanen Inhaltes über Geschichte, Philosophie, Natur- geschichte, ferner die grossen nationalen Epen, Romane, Sammlungen von Gedichtenu.s.w. Alle diese Handschriften sind theils mit ornamentalem, theils mit figürlichem Schmucke versehen und zeigen uns, wie gross die Sorgfalt war, die man fast zu allen Zeiten auf die Ausstattung des Buches verwendete, ein Umstand, der für uns von umso grösserem Inter- esse ist, als auch wir in den letzten Jahren der äusseren Form unserer Bücher erhöhte Aufmerksamkeit zugewendet haben. Viele Jahre seines Lebens arbeitete oft ein Schreiber an einem Buche und im frühen Mittelalter sind vorzüglich die Klöster die wichtigsten Stätten für Kunst und Wissenschaft, aus denen diese kostbaren Miniaturen-Codices hervor- gegangen sind. Im späten Mittelalter, als mit dem Aufblühen des Bürgerthums die Kunst in den reichen und vornehmen Städten ihre Pllegestätten fand, da bildete sich ein Stand von Buchmalern, die sogenannten Illuminatoren aus; es werden Werkstätten für Buch- malerei begründet, in der ein Meister mehrere Gehilfen beschäftigt, ja es führt, wie wir es aus Urkunden ersehen können, die Frau nach dem Tode des Mannes die Werkstätte unter ihrer Leitung weiter. Die Buchmaler hatten ihre Gilde so wie die anderen Gewerbe. Auf diese Weise erklärt es sich nun sehr leicht, wieso wir in einer Handschrift zwei und oft auch mehrere Hände erkennen können. Es ist eben die Arbeit einer ganzen Werkstatt. Der Meister, der wohl nicht immer der tüchtigste Maler sein muss, behält sich meist den Schmuck des Titelblattes vor. Auf vielen Dedicationsbildern sehen wir den Verfertiger der Handschrift, der kniend sein Werk dem Besteller darbringt. Mit der Erfindung und Verbreitung der Buchdruckerkunst werden die Miniatur-Codices immer mehr und mehr zu einer Liebhaberei der Vornehmen und Reichen, die von den hervorragendsten Künstlern ihre Bücher verfertigen lassen, so dass gerade in der zweiten Hälfte des XV. und der ersten Hälfte des XVI. jahrhunderts die Miniaturmalerei ihre höchste Blütezeit erreicht. Die Ausstellung dieser Miniaturen ist aber von ungewöhnlichem kunstgeschichtlichen Interesse nicht nur wegen des bedeutenden Einflusses, den in gewissen Zeiten die Miniaturmalerei auf die grosse Malerei ausübt, wie z. B. in der vor van Eyclischen Periode oder im XVJahrhundert in Flandern, sondern auch deshalb, weil wir aus vielen Jahr- hunderten fast keine anderen Malereien erhalten haben und uns die Handschriften die wichtigste Quelle für diese Zeit bieten. Auch für die Geschichte des Kunstgewerbes, besonders die der Trachten und der Wohnungsausstattung, sind die Miniaturen-Codices, und zwar speciell die der Profanliteratur, eine unermessliche Fundgrube. Auf den cultur- geschichtlichen Wert dieser Bilderhandschriften kann in diesen Zeilen eben nur hingewiesen werden. ' Die Ausstellung ist in der Weise angeordnet, dass in der Mitte des Saales, unter der Kuppel, die orientalischen, in dem übrigen Theile die abendländischen Handschriften aufgestellt sind. Diese beginnen mit vier Bildern aus der „Genesis" (erstes Buch Mosis), einer Purpurpergament-Handschrift aus dem IV. oder V. jahrhundert, mit 48 Miniaturen, n-