Kennzeichen der einen Kunstseite; bezüglich der Materialunterdrückung und Tonstimmung brauchen wir nur auf die Abbildungen zu verweisen. Und dass dieser grosse Wechsel in der Kunst eintrat, dass die vor- wärtsstrebende Kunst wie- der von der anderen Seite angezogen wurde, hat in der Änderung der ganzen Culturverhältnisse seine Ursache. Man kann sagen, es muss ein Krach des Ver- standes vorangegangen sein. Der grossen Masse der Menschen wird die Wissenschaft, die ja auch in griechisch - römischer Zeit schon hoch entwickelt war, nie volle Befriedigung bieten. Und auch für hohe Geister birgt das Wissen leicht die Gefahr, zu einem gewissen Indifferentismus und Anarchismus zu führen; man glaubt zuletzt zu erkennen, dass eigentlich jede Meinung berechtigt sei. Dann kann die Thätigkeit des Verstandes nicht mehr befriedigen; das Gemüth und die Einbildungskraft übernehmen die Führung. Dann vereinigen sich auch wieder alle Stände zu einer gemeinsamen Lebensauffassung. Dieser Vorgang trat in der späten Antike ein; das war der Sieg der Religion über die Philosophie. Damals vereinigten sich aber nicht nur die verschiedenen Stände der einen Culturwelt, damals konnten zwei, bis dahin geschiedene Gesittungen in einander überfliessen, die griechisch-römische und die barbarisch- germanische. Es ist einer der bemerkenswertesten Vorgänge der Weltgeschichte, mit wie geringem Widerstreben, ja theilweise sogar mit Wollust die griechisch-römische Welt die Herrschaft des Barbarenthumes über sich ergehen liess. Die Untersuchung diesesVorganges, der mit dem Angedeuteten im engsten Zusammenhange steht, würde hier zu weit führen, aber auf das Eine muss hier hingewiesen werden, wieso die späte Kunst auf die Barbaren übergehen konnte. Es ist doch merkwürdig, dass die frühe griechische Kunst bei ihnen offenbar keine Nachahmung gefunden hat. Jetzt war eben erst die Kunst für den Barbaren reif und der Barbare reif für diese Kunst. Auf diesem Standpunkte der Gefühls- und Phantasiekunst, auf den das Mittelmeervolk nach langem Wege wiedergelangt war, stand der Barbare noch immer, und daher konnten sich jetzt beide verstehen. Man kann neugierig sein, wie sich Riegl in der Fortsetzung des Werkes zu dieser Frage stellen wird. Auch wäre zu untersuchen, was der Barbare, insbesondere der Germane bis zu diesem Zeitpunkte an Kunst besass. Ornamemaler Pries, im Kalkstein durchbrochen. Museum in Gize