389 BYAM SHAW Saß VON P. G. KONODY- LONDONSP AN kann wohl begreifen, dass die Leistungen von Byam Shaw den Feinden der königlichen Kunstakademie ein Dorn im Auge sind. Wohl mögen die Vertreter der neuen Richtung viel an seiner Malweise und an dem Stofiinhalt seiner Werke zu tadeln finden; nichtsdestoweniger ist er ein glänzender Beweis, dass die Schule der Royal Academy nicht als Quantite negligeable zu betrachten ist und noch manches bedeutende Talent hervorbringt. Damit soll allerdings nicht gesagt sein, dass Byam Shaw zu den akademischen Malern zu zählen ist. Nein! Er ist von ihnen durch einen Golf getrennt, der sich an Weite wohl mit jenem messen kann, welcher sich zwischen den Impressionisten und den akademi- schen Malern erstreckt. Denn Byam Shaw, der Verzogene Liebling der Royal Academy, dem schon in frühesterjugend die schmeichelhafteste Anerkennung zuteil wurde, ist, mit Ausnahme des greisen Holman I-Iunt, der hervorragendste lebende Vertreter der präraphaelitischen Richtung, woraus zu ersehen ist, dass die Schranken der Akademie keineswegs so enge gezogen sind, als dies von ihren Feinden behauptet wird. Um sich ein Bild über die genaue Stellung Byam Shaw's unter den modernen Künstlern Englands zu schaffen, ist es notwendig, mit einigen Worten die heute so wohlbekannte Geschichte der präraphaelitischen Be- wegung zu rekapitulieren, umsomehr, als der genaue Sinn der so bezeichneten Bewegung häufig missverstanden wird. Der poetisch-romantische und religiös angehauchte Geist, welcher die wichtigsten Mitglieder der Brüderschaft beseelte, ist oft fälschlicherweise als das I-Iauptkennzeichen der Richtung angesehen worden. Tatsächlich sind die Prinzipien der Präraphaeliten rein technischer Natur. Das Streben dieser Malergruppe war, zu treuer Natur- Wahrheit zurückzukehren, die unwahren Atelierschatten und die übermässige Anwendung von Asphalt abzuschaffen, Licht und reine Farbe in die Bilder einzuführen und die Erscheinungswelt genau in freier Natur zu studieren und wiederzugeben. Diese Grundregeln waren keineswegs neu, als sich Rossetti, Millais, Holman I-Iunt und die minder bedeutenden Mitglieder des Bundes zusammenscharten, um ein feindselig gestimmtes Publikum zur Anerkennung zu zwingen. Ford Madox Brown hatte schon Jahre vorher in demselben Sinne gearbeitet und den bittern Becher des Hohnes der Unverständigen bis zum letzten Tropfen geleert. Dass bei ihm der Erfolg ausblieb, ist wohl dem Umstande zuzuschreiben, dass sein Können stets weit hinter seinem Wollen zurückblieb. Seine Bilder interessieren heute hauptsächlich dadurch, dass sie den endlosen Kampf eines über das eigene Können hinausreichenden Genies ausdrücken. u