494
Diese an letzter Stelle zitierten Verse hat Clovio wohl vor Augen gehabt,
als er die Darstellung, die wir in der Mitte des Bildes gewahren, ausführte;
für die Erklärung der Nebenszenen gibt der Text jedoch keinen Anhalt.
Waagen (a. a. O. II, III f.) hält es für sicher, dass die „Stanze" sich auf
den Zug Karl V. gegen Tunis ( r 53 5) beziehen; man kann, obwohl das Gedicht
selbst keine ausdrückliche Bestätigung hierfür bietet, dieser Annahme nicht
direkt widersprechen - „als der Fähnrich seines Feldhauptrnanns Christus
zog Karl im Juni I 535 über Meer, ganz von den Ideen der Kreuzfahrer erfüllt, die
ja in Spanien noch lebendiger waren als irgendwo" - und die von uns zitierten
Stellen aus den „Stanze" weisen ja, wie wir sahen, auf eine „impresa", die um
des Glaubens willen erfolgte. Die Darstellung in der Bildermitte würde dann
also die todesmutige Verteidigung des Glaubens auf einem den Feinden des
Christentums gehörenden Gebiet bedeuten, und auf Grund dieser Auffassung
wären die jene Darstellung umgebenden Szenen zu erklären: Die Gruppe
der Gestalten im Hintergrund rechts, die Frau mit den Kindern, die Carita,
im Vordergrund rechts, und der in etwas abgewendeter Haltung stehende
römische Krieger links. Der Aar in der Luft, der mit zwei Raubvögeln
kämpft, bedeutet, wie Waagen vermutete, den Kampf Karls mit Tunis und
Algier.
Dass Waagen die Eleganz, und Ausführung der Randverzierung zu-
treffend würdigte, wurde bereits erwähnt: „Auf einem zart rosa, aber
abwechselnd auch grünen und veilchenblauen, mit Gold punktierten Grunde
sind Arabesken in antiker Weise in Braun und Gold mit eingemischten
Figürchen in raphaelischem Geschmack gemalt." Ein sehr schönes Gegen-
stück bildet der Randschmuck der gegenüberstehenden Seite, welche die
Titelvignette (antiker Ruhmestempel, von Männern, Frauen und Kindern
umgeben), den Titel und die erste Stanze enthält.
Auch auf dem Blatte 18a finden sich ähnliche prächtige Leisten, die
den Beginn eines anderen Gedichts einschliessen, das gleichfalls den
Ruhm Karl V. verkündet. Mehr als der Dichter hat Giulio Clovio dazu bei-
getragen, dies dem glorreichen Kaiser gesetzte Denkmal zu einem wirklich
hervorragenden zu gestalten.
Erhöht wird sein Wert für uns dadurch, dass es zu einer Zeit entstand,
da die Palatina Vindobonensis eben den Grund zu ihrer künftigen Grösse
legte; um dieses kleine Buch, das seit seinem Entstehen im Besitz des
Erzhauses geblieben war, sollten sich im Laufe der Jahrhunderte durch
des gefeierten Kaisers und seiner Nachfolger Liebe zur Kunst all jene
Prachtwerke Scharen, die wir bisher zu würdigen versucht haben.
' Bezold, Friedrich von: Geschichte der deutschen Reformation, Berlin 1890. S. 56x.